einar schlereth oldies

Sonntag, 22. September 2013

NGUGI WA THIONG'O, ein afrikanischer Dichter im Exil


NORDDEUTSCHER RUNDFUNK
Montag, den 18. Juni 1984
NGUGI WA THIONG'O, ein afrikanischer Dichter im Exil 
Einar Schlereth
Dienstag, den 19. Juni 1984, 20 Uhr wird Ngugi wa Thiong'o in der Evangelischen Akademie an der Esplanade 15 lesen. Aus diesem Anlaß eine kurze Betrachtung seiner Person und seines Werkes.
Als sich am 31. Dezember 1977 die Tore (des Sicherheitstraktes) des Kamiti-Gefängnisses schlossen, starb endgültig der Mythos von der liberalen Demokratie in Kenia. 12 Monate lang saß dort ohne Anklage und Gerichtsverfahren einer der beiden 'literarischen Giganten Afrikas': Ngugi wa Thiong'o. Der andere, der Nigerianer Wole Soyinka, hatte diese Erfahrung schon einige Jahre früher gemacht (eine Erfahrung, an der wohl kein großer Dichter dieser Welt vorbeikommt, ob Ritsos in Griechenland, Hikmet in der Türkei, Sri Sri in Indien oder Pramudya Ananta Toer in Indonesien).

Wer ist Ngugi wa Thiong'o? Er wurde 1938 in Limuru bei Nairobi geboren. Für den 14-jährigen wurde der Befreiungskampf und der englische Terror zum Schlüsselerlebnis. Er studierte an der (renommierten) Makerere-Universität in Uganda, arbeitete als Journalist in Nairobi, setzte seine Studien in England fort, wurde Gastprofessor in den USA, Uganda und Kenia und schließlich Dekan der Abteilung Literatur an der Universität von Nairobi. 1982 entzog er sich einer erneuten Verhaftung durch die Flucht nach London.
Im Juli 1977 wurde Ngugi, ein Dichter von Weltrang, dessen Bücher in 12 Sprachen übersetzt sind, anläßlich des Erscheinens von 'Verbrannte Blüten' noch vom damaligen Finanzminister Mwai Kibaki geehrt, der u.a. sagte:

"Es gehört zum Furchtbarsten unserer Zeit, daß so viele Schrift-steller emigrieren müssen, um das Geschehen in ihrem Heimatland kommentieren zu können. Das ist eine Tragödie, die bedeutet, daß die Gesellschaften immer unduldsamer werden, während in jeder wirklichen Demokratie wirkliche Freiheit herrschen sollte, was wir in diesem Land zu bewerkstelligen suchen."

Ngugi lebte mit seiner Familie im Dorf Kamirithu, etwa 30 km außerhalb von Nairobi, in einem kleinen Haus ohne Strom-und Wasseranschluß, was in Afrika ja der Norsmalfall ist. Etwas Landwirtschaft, hauptsächlich von seiner Frau betrieben, besserte ihr Einkommen auf. 1976 war es den Anstrengungen einiger Leute in Kamirithu gelungen, das still gelegte Kulturzentrum ohne fremde Hilfe zu neuem Leben zu erwecken. Unter dem Vorsitz des Bauern Adolf Kamau wurden folgende Schwerpunkte gesetzt: Erwachsenenbildung; kulturelle Entwicklung - Musik, Tanz, Drama; materielle Kultur - Herstellen von Möbeln, Flechtwaren, Ledersachan, Musikinstrumenten;Gesundheitswesen.


Im Dezember '76 konnte die erste Klasse von 55 Arbeitern und Bauern lesen und schreiben. Das Zentrum hatte Wurzeln geschlgen und beauftragte Ngugi wa Thiong'o und Ngugi wa Mirii mit dem Schreiben eines Theaterstückes in Kikuyu, das am 2. Oktober 1977, am 25. Jahrestag der Erklärung des Ausnahmezustandes durch die Engländer und Beginn des bewaffneten Befreiungskampfes, uraufgeführt werden sollte.
Im April '77 war der Rohentwurfi fertig, an dem daraufhin die Bauern und Arbeiter in 2-monatiger Arbeit viele Verbesserungen und Änderungen vomahmen. Am 5. Juni war die Endfassung geschrieben und die Proben konnten beginnen.

Nach Ngugi's eigenen Worten gehörten die folgenden Monate zu den entscheidendsten Erfahrungen seines Lebens. Im Gefängnistagebuch schreibt er:

"Die 6 Monate zwischen Juni und November '77 waren die aufregendsten meines Lebens und der eigentliche Beginn meiner Erziehung. Ich lernte meine Sprache neu. Ich entdeckte von neuem die kreative Natur und Macht kollektiver Arbeit. Arbeit, o ja Arbeit! Arbeit, jeder nach seinen Fähigkeiten für eine kollektive Vision, das war der große demokratische Gleichmacher. Nicht Geld, nicht Bücherwissen, sondern Arbeit … Nicht Geburt, nicht Paläste, sondern Arbeit... Nicht Religionen, nicht gute Absichten, sondern Arbeit. Arbeit und noch mehr Arbeit, mit kollektiven demokratischen Entscheidungen auf der Basis freier Kritik und Selbstkritik, das war das organisato-rische Prinzip, das sich allmählich als Eckpfeiler unserer Aktivitäten herausstellte."

Die gemeinsamen Anstrengungen setzten eine Flut von Talenten frei. Es wurden drei weitere Stücke in Kikuyu geschrieben und die Dorfbewohner errichteten ein Theater mit 2000 Sitzplätzen in eigener Regie.


Während all der Monate kam es im Kulturzentrum nicht zu einem Fall von Trunkenheit, in einem Dorf, das für Suff und Raufereien berühmt war, eine beachtliche Leistung.

Die Aufführung am 2. Oktober '77 vor Bauern und Arbeitern, die von nah und fern gekommen waren, wurde ein riesiger Erfolg. Die Laienspieler zeigten ein musikalisches, schauspielerisches und choreographisches Können, das sie selbst am meisten überraschte. Aber auch die Kritiker waren überwältigt, hatten aber nichts Eiligeres zu tun, als glattweg zu bestreiten, dass es sich bei den Künstlern um Leute des Dorfes handeln könne.

Insgesamt fanden
10
Aufführungen vor 20000 Zuschauern statt, bis das Stück am 16. Dezember '77 verboten wurde. Der nicht genannte Grund: Das Stück ist eine schonungslose Abrechnung mit der Vergangenheit und Gegenwart Kenias. Die hehren Ziele des Befreiungskampfes werden dem trüben Ergebnis von 20 Jahren Unabhängigkeit gegenübergestellt.

Die Freiheitskämpfer sind tot, vegetieren in Gefängnissen dahin oder leben in bitterer Armut. Die Verräter und Kollaborateure sitzen in Schlüsselpositionen, betreiben Ausbeutung und Unter-drückung wie ihre ehemaligen Herren, ihre neuen Freunde. Diese direkte Art der Vergangenheitsbewältigung ist in Kenia ebenso unbeliebt wie bei uns. Die Betrogenen und Enttäuschten, wenn sie schon nicht zu einer positiven Grundeinstellung finden, sollen gefälligst still sein.

"Zum ersten Mal," schreibt Ngugi,"konnten die Menschen auf dem Lande ihr eigenes Leben und ihre eigene Geschichte auf positive Art dargestellt sehen. Zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit ihren Landes war es so einem Teil der Bauernschaft möglich, aus einer bedrückenden Situation herauszukommen: sich nur zwischen Kirche und Kneipe entscheiden zu können."

In zweierlei Hinsicht hat Ngugi mit diesem Theaterstück einen wichtigen Schritt getan. Früher schrieb er ausschließlich auf Englisch und nun entschied er sich bewußt für die Sprache seines Volkes.

"Für mich als kenianischen Schriftsteller hat das bedeutet, daß ich in den letzten 17 Jahren meines Schreibens weder ... der Bauernschaft noch der Arbeiterklasse verbunden war -und deshalb war das Schreiben von 'Ngahiika Ndenda
' -Ich heirate, wann ich will- in der Sprache Kikuyu ... die zumindest von einem Teil der kenianischen Bauern verstanden wird, ein Akt persönlicher Befreiung.”

Zum anderen ging Ngugi von seinen Kollektiv-Romanen zum Stücke-schreiben eines Kollektivs über. Ein aufregendes, wenn auch nicht einmaliges Experiment, das die Herrschenden Kenias leider gewaltsam unterbrochen haben.

Schon in seinen beiden letzten Romanen 'Verbrannte Blüten' und 'Teufel am Kreuz' (das demnächst ebenfalls auf deutsch erscheinen wird), gibt es nicht mehr, wie noch in seinen Erstlingen, den individuellen Helden, sondern der Held ist das Kollektiv des Dorfes Ilmorog, das Pendant zum Dorf Macondo bei Marquez.

Das Kollektiv, keine anonyme Masse, sondern eine Vielzahl von Persönlichkeiten, deren Schicksale der Autor miteinander verwebt, so daß ein plastisches Abbild des heutigen Kenia entsteht.

Durch innere Monologe, kraftvolle Dialoge - schließlich ist Ngugi auch Theatermann - bringt er Licht in das Dunkel der zwischenmenschlichen Beziehungnn, durch seine meisterhafte Technik der Vor-und Rückblenden stellt er die Menschen in ihren historischen Rahmen, legt ihre Triebfedern und Beweggründe bloß, ihre Ambitionen und Visionen. Wo Marquez ins Irreal-phantastische abschweift, da bleibt Ngugi zwar nicht unbedingt auf dem Boden der Tatsachen, aber doch auf dem Boden einer 'konkreten Utopie', einer möglichen, einer denkbaren Zukunft.

Diese Sichtweise beruht auf der unstillbaren Neugier auf die eigene Geschichte, deren Fährten fast automatisch zu den Wurzeln des eigenen Volkes, ja der Menschheit führen. Der durch däs Schreiben sichtbar gemachte Prozeß des Selber-lernens, des Selbst-erkennens, löst auch beim Lesenden diesen Prozeß aus.

Das sieht Ngugi als seine Aufgabe an, als die Aufgabe eines jeden Dichters.

Ein wichtiger Aspekt in Ngugi's Werk ist seine Verbundenheit mit der Tradition der großen afrikanischen Erzählkunst. Schon in seinen englisch geschriebenen Romanen taucht immer wieder das offene Feuer auf, um das herum die
Menschen sich sammeln, erzählen und Entscheidungen treffen. So dicht ist die Atmosphäre, daß man vermeint, im Kreis der Zuhörer zu sitzen, mit einem Stecken in der Hand, um in der Glut zu stochern.

Mit der Wahl des Kikuyu hat
Ngugidiese Komponente zweifelsohne verstärkt. Gewiß, die Zeiten der 'oralen Literatur' sind vorbei und ebenso gewiß kann die geschriebene Sprache nicht die reiche  
Tonalität afrikanischer Sprachen wiedergehen. Denn:

"Die Verschriftlichung der afrikanischen Sprachen diente ursprünglich fast ausschließlich zur Übersetzung der Bibel und der Indoktrinierung mit christlichem Gedankengut ... Ganz offen wurde die traditionelle Kultur von Seiten der Missionare und ihren bekehrten Afrikanern angegriffen."

Dennoch hat Ngugi seine Erzählkunst so weit entwickelt, daß sie auch Hörer zu fesseln vermag, wie die Geschichte von Peter Laudan im Nachwort von 'Verbrannte Blüten'
beweist:

"Ein ärmlich gekleideter Mann zählte in kleinen Noten und vielen Münzen fünfundfünfzig kenianische Schillinge auf den Ladentisch der Buchhandlung, deren Besitzer ihm feierlich 'Detained - a Writers Prison Diary' einpackte und überreichte. Ich frage später den Buchhändler - ein Inder - (alle bookshops, bis auf einen einzigen gehören in Nairobi indischen Geschäftsleuten) was das für ein seltsamer Kunde war. „Wieder ein Arbeiter,“ sagt er," sie sammeln untereinander und kaufen das Buch, einige können englisch, die übersetzen es dann den anderen. An Ngugi verdiene ich ein Vermögen.“ Er selbst hat das Buch nicht ge­lesen."

Ich kann nicht schließen, ohne Ngugi's wunderbare Prauengestalten zu erwähnen. Sie sind so interessant, daß bereits über sie eine wissenschaftliche Arbeit geschrieben wurde. Aber ich glaube nicht, daß es Ngugi's Intention ist, wie dort von Sigrid Peicke behauptet, "daß Ngugi der kenianischen Frau damit eine Perspektive aufzeigen will". Ngugi ist zu sehr Realist, um nicht zu wissen, daß die Befreiung der Frau weder durch Gebete oder Absichtserklärungen seitens der Männer, sondern nur durch die Prauen selbst erreicht werden kann.

Für mich gibt es kaum jemanden, der wie Ngugi so viel Sensibilität und Einfühlungsvermögen b
ei der Schilderung von Prauen jeden Alters zeigt, daß nicht nur Frauen daraus Kraft und Selbstbewußtsein ziehen könnten, sondern auch Männer zur Überprüfung selbst ihrer verstecktesten Überlegenheitsgefühle gezwungen werden. Sollte man meinen oder vielmehr hoffen.



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