Afrikaforschung
im 19. und 20. Jahrhundert
von
Heinrich Barth bis Basil Davidson
von Einar
Schlereth
Dies
war eine Sendung im Norddeutschen Rundfunk 3 in der Redaktion von
Joachim Schickel am Sonntag, den 4. März 1979 um 20.15 bis 22.00
Uhr.
Da
Heinrich Barth auch heute, 34 Jahre später, immer noch ein so gut
wie Unbekannter ist, obwohl er der größte Afrikaforscher – im
besten Sinne des Wortes – war, lohnt es sich, diesen Essay der
Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Bei
meiner Arbeit mit dem Einscannen und Digitalisieren stieß ich zu
meiner Freude auf die englische Besprechung eines Buches von Steve
Kemper mit dem Titel 'A Labyrinth of Kingdoms', das im Verlag W.W.
Norton & Company, New York – London 2012 erschien. Die
Rezension von Randy Dotinga heißt 'Heinrich
Barth: the greatest explorer you've never heard of' (Heinrich
Barth: der größte Forscher, von dem man nie gehört hat) mit dem
Untertitel 'Der Schriftsteller Steve Kemper beschäftigt sich mit
Heinrich Barth in der ersten Biographie auf Englisch über den
Forscher, der sich in das islamische Afrika wagte'.
Welch
eine Schande für Deutschland, das eine seiner größten Gestalten
völlig vergessen hat, das sein Mammutwerk ein einziges Mal um 1860
auflegte und dann nie wieder. Ich nahm natürlich gleich Kontakt mit
Steve Kemper auf und er schickte mir ein PDF seines Werkes. Eine
wunderbare Lektüre, mit tiefer Kenntnis von Heinrich Barths
Gesamtwerk und großer Einfühlsamkeit geschrieben. Ich versprach
Steve Kemper, alles zu versuchen, um eine deutsche Übersetzung
unterbringen zu können. Nun, ich versuchte es bei einem Dutzend
Verlage – vergebens. Das wird sich in der deutschen Provinz wohl
auch nicht ändern. In Afrika hingegen ist Heinrich Barth noch heute
aktuell und wird eifrig studiert. Und immerhin ist die englische
Ausgabe seines vierbändigen Reiseberichts, die 1860 simultan mit der
deutschen erschien, bei Google
book in Teilen zugänglich, sogar der 1. Band seines
umfangreichen Werkes mit Vokabularien und Grammatiken von neun
afrikanischen Sprachen.
Die
große Reise nach Timbuktu
Haussa-Lied zur Einstimmung
Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts, als Heinrich Barth seine große Reise antrat, hatte das Gewissen des weißen Mannes heftiger zu schlagen begonnen. Die Proklamtion von 'Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit' zeigte Wirkung, auch unvorhergesehene. Ein schwarzer Sklave von Haiti läutete das Ende des Kolonialismus ein, noch es er richtig begonnen hatte – Toussaint L'Ouverture, Philosoph, Staatsmann, Feldherr, dessen Größe einen Napoleon klein machte. Doch bleiben wir beim Gewissen des weißen Mannes. Es schlug nicht umsonst, versteht sich. Es ließ sich in klingende Münze verwandeln.
Afrika begann für die daniederliegende Industrie Europas als Markt interessant zu werden. Noch interessanter wurde es sodann als Rohstofflieferant. Und zur Erzeugung von Rohstoffen brauchte man Arbeiter - in Afrika. Dies begriff England zuallererst und entfaltete das Banner der 'Anti-Sklaverei'. Der Wind, der es knattern ließ, blähte nicht die Segel des ehrenwerten Mark Twain, der den Schwindel durchschaute, und einsam gegen den amerikaii sehen und europäischen Imperialismus zu Felde zog. Und das lustige Flattern des Banners übertönte die Psalmen der Missionare, das Knistern der Geldscheine der mal listigen, mal brutalen Agenten und Kaufleute, und schließlich das Todesröcheln des freien Afrika unter den Bajonetten einer entmenschten Soldateska.Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts, als Barth seine große Reise antrat, war die englische Gesellschaft, in deren Auftrag er reiste, und die sich die systematische Auskundschaftung des afrikanischen Kontinents zum Ziel gesetzt hatte, gerade 60 Jahre alt. Kurz zuvor hatte England im Opiumkrieg mit China sich den freien Narkotikahandel erzwungen. Die Taiping-Revolution stand vor der Tür, ebenso die erste große nationale Revolution in Indien, die England in seinen Grundfesten erzittern lassen sollte. Die Franzosen hatten soeben den letzten Widerstand in Algerien gebrochen - unter großen Verlusten,die aber leicht wogen im Vergleich zu den unermeßlichen Schätzen, die sie erbeuteten. Die USA hatten sich die Hälfte Mexikos einverleibt. Und über Europa waren eben die 48-er Revolutionen hinweggefegt, die einige Könige den Thron gekostet hatten, um andere in noch größerem Glanz erscheinen zu lassen. Die deutsche Kleinstaaterei blieb vorerst unberührt. Und 184-7 hatten zwei unbekannte junge Männer ein Papier verfaßt,das sie das 'Kommunistische Manifest' nannten.
In
diesen keineswegs ruhigen Zeiten also reiste Heinrich Barth.
Was
trieb ihn hinaus? Die Enge der Gassen in seiner Vaterstadt Hamburg?
Die Wirren Deutschlands oder Europas? Weltflucht somit?
War
es Fernweh oder Wissensdurst? Der Drang nach Ruhm und Ehre? Wohl
etwas von alledem. In einem Brief vom 20. Mai 184-3 schreibt der
damals 22-jährige seinem Vater über seine Absichten, die sich so
glänzend bewahrheiten sollten:
"Selbst
wie meine äußere pekuniäre Stellung später sein wird, ist mir
fast gleichgültig. Mir kommt es allein auf meine innre Ausbildung
an, um so den Menschen so viel wie möglich nützen zu können, wofür
ich denn freilich Anerkennung und wo möglich etwas Ruhm ernten
möchte...
Zu
sehn, wie man von Stunde zu Stunde, von Tag zu Tage tiefer,
lebendiger und klarer in die Wissenschaft eindringt, teils ein ganz
kleines spezielles Feld immer gründlicher durcharbeitet und sich
stets geläufiger macht, teils das Verhältnis dieses einen kleinen
Teiles zur ganzen Wissenschaft, zu der ganzen Fortentwicklung des
menschlichen
Geistes klarer erfaßt - dies ist ein unendliches, tiefes, stilles
Vergnügen. Freilich,es kann in ungeheuren Egoismus, in Sorglosigkeit
alles dessen, was außer einem vorgeht, ausarten.
Aber
je lebendiger man die Wissenschaft in ihrem innersten Wesen erfaßt,
um so mehr wird sie einen auch nach Außen hintreiben, antreiben,
auch anderen Menschen von diesem geistigen Leben mitzuteilen und sie
damit zu kräftigen..."
Diese
Worte Heinrich Barths - sinngemäß die gleichen, nur etwas
poetischer äußerte Heinrich Heine gleichzeitig in der 'Augsburger
Zeitung' - kannte ich vor 25 Jahren nicht; vielleicht hätten sie mir
damals auch nicht viel bedeutet. Aber seine 100 Jahre alten
Reiseschilderungen verhalfen mir zu einem wahren Afrikabild. Ich
lernte sie erstmals in meines Großvaters Bibliothek kennen, bzw. dem
kläglichen Rest, den er hatte retten können, nachdem die
amerikanischen GI's 10 000 Bände für hygienische Zwecke eingesetzt
hatten - auf den öffentlichen Toiletten. Zum zweiten Male begegnete
ich Barth in der modernen Afrikaforschung, der europäischen wie der
afrikanischen, der er eine Art Kronzeuge ist. Mein Interesse wuchs—
außerdem lebe ich in seiner Vaterstadt. Hoffnungsvoll begab ich mich
zur Staats- und Universitäts-bibliothek. Leise Vorahnungen
beschlichen mich, als ich beim ersten Durchsehen nichts fand.
Sicherheitshalber, da ich mit Katalogen aller Art auf Kriegsfuß
lebe, ging ich nochmals alles rückwärts durch. Nichts. Unfaßbar.
Mein Großvater, mit 11 Jahren Vollwaise, ohne abgeschlossene
Volksschule, Eisenbahner
und Autodidakt,
sollte Barth gekannt haben, und in seiner Heimatstadt sollte nichts
als ein kleines Gäßchen mit seinem Namen an ihn erinnern ? Ich
suchte weiter und finde ein
Buch über
ihn, von Rolf Italiaander.
Ich hinauf zum Norddeutschen
Zentralkatalog. Die Bibliothekarin überreicht mir 1 1/2 Karteikästen
voll Barths - mit einem entschuldigenden Lächeln: sie seien leider
nicht alphabetisch geordnet. Der Theologe Barth - hunderte Titel. Der
Viehzüchter
Heinrich Barth.
Der Ökonom Heinrich Barth. Der Pädagoge Barth. Endlich
Heinrich Barth,
der Afrikaforscher. Im
gesamten
nord-deutschen Raum
befinden
sich 3
Ausgaben
seines in Deutschland nur einmal erschienenen Hauptwerkes, dessen 4
Bände heute mit 10 000 DM gehandelt werden: eine im Hamburger
Staatsarchiv und gleich zwei im Seninar
für Afrikanistik
der Hamburger Universität. Dazu kommt eine
Ausgabe
seiner
'Wanderungen
um das
Mittelmeer'. Sein
umfangreicher
Nachlaß liegt - vor der Öffentlichkeit gut abgeschirmt - in
Archiven von
Hamburg,
London, Paris und Washington DC. Aus dem afrikanischen Seminar
besorgte ich mir sogleich eine Ausgabe seiner Reisetagebücher, die
normalerweise nicht verliehen wird. Aufschluß über den Stand der
Barth-Studien in Deutschland verschaffte mir der Uinstand, daß ich
den 3. Band aufschneiden mußte. Immerhin bereitete es Genugtuung,
der Erste zu sein, der ihnin den 120 Jahren seit seinem Erscheinen
lesend in Händen hielt.
Nach
dieser Abschweifung zurück zur Frage, wer dieser Heinrich Barth war,
der, mit 27 Jahren Privatdozent an der Berliner Universität,
leichten Herzens, gegen den Widerstand seiner geliebten Eltern,
seinen Posten und seine Karriere an den Nagel hängte, im Tausch
gegen eine Expedition, deren Ausgang höchst ungewiß war?
Der
Geograph und Afrika-Autor Heinrich Schiffers, der sich seit Jahren
für Barth einsetzt, hat mehrmals darauf hingewiesen, daß über den
jungen Barth nur das Wenige bekannt sei, was bei v. Schubert, Barths
Schwager, in der bisher einzigen deutschen Biographie zu finden ist.
Zitat:
„Von vier Kindern der Familie - der Vater, ursprünglich Metzger,
brachte es als Kaufmann im Überseehandel zu gewissem Wohlstand und
die Mutter war eine Schuhmacherstochter - war Heinrich, am 16. 9.
1821 geboren, das dritte. Mit 11 Jahren kam Heinrich 1832 auf die
angesehene Hamburger Gelehrtenschule des Johanneums. Mit den
Klassenkameraden hatte
er
kaum
Kontakt.
Seine Liebe galt einer eigenen Bücherei. Er arbeitete die
wichtigsten Schriftsteller des griechischen und römischen Altertums
durch, sprach mit 14 fließend englisch und begann danach mit dem
Studium des Arabischen.
Nach
Erlangung des Reifezeugnisses 1839 begann er im gleichen Jahr das
Universitätsstudium zu Berlin. Er studierte Altertumswissenschaft,
Germanistik, Jura, Handelsgeschichte und Geographie bei Carl Ritter.“
Das
ist herzlich wenig.
Wieso aber fand er, der etwas schwierige Außenseiter, im Süden, wo
immer er hinkam, mühelos Kontakt, geradezu herzlichen Kontakt, ohne
den er, wie er selbst mehrfach betont, sein Werk nicht hätte
schreiben können? Wer den Hamburger Johanneum-Snob kennt und auch
den Südländer mit seiner offenen und herzlichen Art, der könnte
dazu wohl einiges sagen, was vielleicht teilweise seine Sehnsucht
nach der Ferne, dem Süden erklären könnte.
Schon
als 14-jähriger Schüler interessierte ihn der Mittelmeerraum. Seine
erste Studienreise ging nach Italien, an dessen Freiheitskampf er
lebhaften Anteil nahm. Seine Doktorarbeit über den Handel der
Korinther schrieb er auf Latein. Mit 23 Jahren macht er zu Fuß, zu
Pferde und auf dem Rücken von Kamelen eine Reise rund um das
Mittelmeer. Unterwegs erhält er einen Fingerzeig des Schicksals.
"Die
Worte eines Haussa-Sklaven in der Tunesischen Kaf, mit dem ich in
eine Unterhaltung über sein Land geriet, tönten fortwährend in
meine Ohren. In einfacher, aber eindringlicher Weise sagte mir der
Eingeborene des Negerlandes, als er das Interesse gewahrte, das ich
an seinem Lande nahm: 'So es Gott gefällt, sollst du noch dich
aufmachen und Kano besuchen.' "
Schon
drei Jahre
später
war es so weit. Im Auftrag des Foreign Office schloß er sich einer
Expedition unter Leitung von James Richardson
an,
deren
Aufgaben,
neben dem Vorstoß zum
Tschadsee,
folgendermaBen
lauteten:
"Man
sollte
Art
und Menge der Waren feststellen, die im Innern Afrikas verlangt
würden, und was man dafür erhalten könne. Es sollten mit
dem
Sultan von Bornu und anderen Herrschern Handelsverträge
abgeschlossen werden."
Es
verdient festgehalten zu
werden, daß Barth einen zähen Kampf darum
führte,
daß
der Expedition
außer dem Abschluß von Handelsverträgen
auch
noch
wissenschaftliche
Aufgaben übertragen wurden.
Das
nach fast
6-jähriger
Reise Erreichte nennt Barth selbst im Vorwort zu seinem monumentalen,
3500-seitigen Werk, dessen vollständiger Titel 'Reisen und
Entdeckungen in Nord-und General-Afrika in den
Jahren 1849 bis 1855' lautet:
"Mag
man es meinem guten Stern oder meiner Ausdauer zuschreiben, ich
hoffe, daß niemand in Abrede stellen wird, daß ich die Kenntnis des
Innern Afrikas um ein Ansehnliches gefördert und weite Landstrecken,
die vorher als nackte, leblose Wüsten in unserer Kenntnis dieses
Erdteiles dalagen, mit lebendigen Zügen der mannigfaltigen Schöpfung
belebt habe. Ich war so glücklich, große schiffbare Ströme und von
der Natur reich ausgestattete Länder zu entdecken."
Hier
ist Barth nicht ganz genau und leistet dem Mythos
von den
'Weißen Flecken' in Afrika geradezu Vorschub. Afrika brauchte nicht
entdeckt zu werden. Die ersten Entdeckungen Afrikas gehen auf das
Jahr 2340 v. u. Z. zurück - durch die afrikanischen Ägypter. Das
wußte Barth natürlich auch. Wenige Zeilen davor hatte er
geschrieben: "Denn die Wissenschaft ist aus dem Baumaterial
aufgebaut, das alle Nationen der Erde gesammelt haben."
Die
Werke seiner großen Vorgänger - er kannte sie alle und hatte sie in
seiner Bibliothek stehen gehabt, die 1842
beim
Großen Brand von Hamburg vernichtet wurde. Die Reisebeschreibung des
Ebn Haukal aus dem Jahre 977 mit den ersten Nachrichten über das
Königreich Ghana, dessen König wegen seiner Goldgruben der reichste
der Welt sei. 'Die Beschreibung des nördlichen Afrika' aus dem Jahr
1067
von
El Bekri. Seine Kenntnisse von Ghana und der Organisation dieses
großen mittelalterlichen Königreiches sind schon wesentlich
detaillierter. Er schrieb:
"König
Tunka Manin ist Herr eines großen Königreiches und von wunderbarer
Macht. So mächtig ist dieser König, daß er 200 000 Krieger ins
Feld stellen kann, von denen mehr als 40 000 mit Pfeil und Bogen
ausgerüstet sind ...
Wenn
die Könige dem Volk Audienz gewähren, um seine Beschwerden
anzuhören und ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, dann sitzt er
in einem kleinen Pavillon, um den zehn Pagen mit Schilden und
goldbesetzten Schwertern stehen. Zu seiner Rechten stehen die Söhne
der Edlen seines Königreiches, prächtig gekleidet, die Haare
golddurchwoben. Der Gouverneur der Stadt cs sitzt vor dem König auf
der Erde, ebenso wie alle übrigen Ratgeber. Der Zutritt zum Pavillon
wird von Hunden einer vorzüglichen Rasse bewacht, die niemals ihren
Platz verlassen. Sie tragen Halsbänder aus Gold und Silber. Der
Beginn der königlichen Audienz wird durch das Schlagen einer Art
Trommel angekündigt, die sie deba
nennen."
Im
Jahr 1154 erschienen dann die Reisebeschreibungen des arabischen
Chronisten und Geographen Edrisi; 1330 die Aufzeichnungen des El
Omari und zwischen 1350 und 1400 reisten und schrieben die beiden
Großen arabisch-afrikanischer Geschichtsschreibung: Ibn Chaldun und
Ibn Batuta. Ibn Batuta war nur 15 Jahre nach dem Tode des großen
Kaisers von Mali, Mansa Musa, der eines der mächtigsten Imperien der
damaligen Welt gegründet hatte, durch dessen Land gereist, das er
reich fand und mit allem wohlversehen, auf dessen Straßen für jeden
Reisenden absolute Sicherheit herrschte. El Omari hatte noch Mansa
Musa's Besuch Kairos erlebt auf dessen Pilgerfahrt nach Mekka. Er
schrieb:
"Kaiser
Mansa Musa hielt seinen Einzig mit tausenden Kamelen in Al Kahiro. So
viel an Gold hatte er mit sich und so viele Geschenke in Gold teilte
er aus, daß das Volk von Al Kahiro unvorstellbare Summen verdiente.
Es gab Gold in Überfluß und sein Preis sank.
Doch
es stiegen die Preise der Waren auf dem Basar."
Fast
200 Jahre später, als der marokkanische Reisende Hassan ibn Muhammed
al-Vazzan az-Zayyati, bekannter unter dem Namen Leo Africanus, Niani,
die Hauptstadt des schon zerfallenen Kaiserreiches Mali besuchte,
fand er in ihren Bewohnern noch die 'zivilisiertesten,
intelligentesten und verehrtesten Menschen des ganzen westlichen
Sudan'.
Um
1500 treten die ersten Berichte und Chroniken in den
zentralafrikanischen Königreichen auf, von denen einige Heinrich
Barth als erster Europäer in Händen hielt; so die Briefe des
gelehrten Enzyklopädisten Scheich e-Soyuti von 1550, die Chronik des
Sultan Ben Bello und das bedeutende Geschichtswerk über den Sudan
des Achmed Baba aus Timbuktu, das Barth in Gando exzerpierte. 1590
beschreibt Ibn Fartua den prunkvollen Empfang einer Delegation des
Sultans von Konstantinopel durch den König von Kanem-Bornu, Mai
Idris Alooma.
Zur
gleichen Zeit, als Mai Idris sein großes Königreich mit dem
Tschadsee als Zentrum errichtete, entschied sich das Schsicksal
zweier europäischer Weltmächte und Afrikas. Spaniens Armada wurde
beim Versuch, England zu besetzen, völlig vernichtet. Nelson's Name
ist aus keinem Schulbuch wegzüdenken. Ein zweiter Name fehlt
bezeichnenderweise: Sultan Mulay von Marokko, genannt der Siegreiche,
schlug in einer der großen Schlachten der Weltgeschichte, das
portugiesische Invasionsheer von 25 000 Mann bei Al-Ksar al-Kabir
1578 vernichtend. Nur ein paar hundert Mann überlebten. Jahrhunderte
wurde jeder Gedanke Europas, Nordafrika zu erobern, aufgegeben.
Eben
dieser Mulay al Mansur von Marokko rüstete 1591 ein Heer aus, das
quer durch die Sahara nach Timbuktu vorstieß. Es war mit den damals
modernsten Waffen, den Arkebusen, ausgerüstet und zerschlug daher
das mächtige Königreich Sonrhay. Das Heer wandte sich westwärts
und eroberte Djenne, nahm dann ostwärts den Niger hinab die gleiche
Route über Gao bis Ssay, wie Barth 50 Jahre später.
Einen
großen Teil dieser Berichte und Chroniken seiner Vorgänger kannte
Barth. Er hatte sie auf seinen Reisen gegenwärtig, sie gaben ihm
Anregungen und er kommentierte sie ausgiebig.
Außerdem
führte er in seiner Reisebibliothek die wenigen Berichte seiner
unmittelbaren Vorgänger mit. Das von ihm verdienstvoll genannte,
kleine 'Journal' des deutschen Jürgen Hornemann, der 1799 im Auftrag
Englands als erster Europäer die Wüste durchquerte und 1801 am
Niger der Ruhr erlag. Die aufschlußreichen, nur geographisch
ungenauen Tagebücher der Reisen von Tripolis zum Tschad des
schottischen Missionars Clapperton aus den Jahren 1822 und 1828. Er
und seine beiden Begleiter fielen dem Fieber zum Opfer, doch ein
Diener, der deutsche Richard Lander, rettete die Tagebücher, und
kehrte mit seinem Bruder John 1832 an den unteren Niger zurück. Ihr
Buch wurde für Barth zu einer wichtigen Hilfsquelle.
Gleichzeitig
versuchte England, von Westen her den Niger zu erreichen. Als erstem
gelang dies 1796 dem schottischen Abenteurer Mungo Park. 1805 kehrte
er abermals mit 4 Zimmerleuten und 35 Soldaten an den Niger zurück.
Er fuhr in einem Boot an Timbuktu vorbei und den Niger abwärts.
Brutal und rücksichtslos bahnte er sich
seinen Weg und ging mit Mann und Maus unter. Mit ihm seine letzten
Aufzeichnungen. Seine unvollständigen Tagebücher erschienen erst 10
Jahre nach seinem Tod.
Abermals
ein Schotte, Alexander Gordon Laing, brach in den 20-iger Jahren des
19. Jahrhunderts von Tripolis auf und erreichte tatsächlich
Timbuktu. Er fand 1826 jedoch, auf Grund des provozierenden
Auftretens von Mungo Park, den Tod und seine Tagebücher blieben bis
heute verschollen. In einem Brief verurteilte Barth den
Nationalhelden Mungo Park, der sich, wie Barth berichtet, zur
Angewohnheit gemacht habe, so ziemlich auf alles zu schießen, was
sich bewegte:
"Wie
unverständig, wie unbedachtsam, ich möchte sagen, wie selbstsüchtig
war es von Park, auf Kosten des Blutes der Einwohner in diesem Lande
Entdeckungen machen zu wollen, zur Verhinderung alles späteren
friedlichen Verkehrs! Wie wenig zu rechtfertigen war solch ein
Benehmen."
Der
erste Europäer, der Timbuktu sah, lebend zurückkehrte und einen
Bericht schrieb, war der Franzose René Caillie. Er brach 1827 in
Sierra Leone auf und erreichte nach 538 Tagen, über Timbuktu und
quer durch die Wüste, Fes, die Hauptstadt Marokkos.
"Von
Lumpen bedeckt, von der Sonne geschwärzt, der Körper von
unaufhörlichem Husten geschüttelt. Er ist so sehr gealtert, daß
niemand vermag, sein Alter oder seine Rasse anzugeben."
10
Jahre später, mit 39 Jahren war er tot. Zuerst gefeiert und mit
Ehrungen überhäuft, zuletzt bettelarm, angefeindet und
angezweifelt.
Ihm,
dem ungebildeten armen Teufel glaubte man am Ende nicht einmal mehr
seine Reise nach Timbuktu. Doch gerade ihm, der nur über mangelhafte
Bildung verfügte, spendete Barth großes Lob, was beide ehrt:
"Ich
betrachte es als meine Pflicht, hier ohne Einschränkung und
Hintergedanken zu verkünden, daß Rene Caillie einer der
zuverlässigsten Erforscher Afrikas gewesen ist. Zwar war er kein
Wissenschaftler; aber er hat ohne Instrumente und mit den geringsten
Hilfsmitteln mehr geleistet, als irgend ein anderer Reisender unter
den gleichen Umständen hätte leisten können."
Dies
waren im wesentlichen die Namen, denen das damalige Europa sein
Wissen über die Sahara und die zentralen Königreiche des Sudan
verdankte. Dieses Wissen war teils veraltet, teils vage und
widersprüchlich. Mit Barth reiste nun erstmals ein wissenschaftlich
ausgebildeter Mann mit universaler Bildung und unstillbarer Neugier,
der obendrein über umfassende Sprachkenntnisse, Gewandtheit und
Einfühl- samkeit verfügte. Am Ende seiner Reise über 18 000
Kilometer brachte er Europa einen Berg von Wissen, der bis heute noch
lange nicht abgetragen ist. Er räumte mit einer Reihe von
Vorurteilen auf, denen selbst die gebildetsten Europäer der
damaligen Zeit aufgesessen waren. Z. B., dass Wüste eben Wüste.
Barth widersprach:
"Jetzt
hatte ich volle Gelegenheit, die unermessliche Fläche dieses offenen
Wüstenmeeres zu übersehen; früher hatte man die ganz falsche
Vorstellung, daß dies der Charakter der ganzen Wüste wäre, während
doch nur das eigentliche Zentrum derselben solcher Natur ist,
obgleich auch da noch die Fläche unendlich erscheint. Ungeachtet
ihrer Einförmigkeit hat die Wüste doch etwas unaussprechlich
Großartiges und ist gar wohl geeignet, dem Menschen das Bewußtsein
seiner eigenen Nichtigkeit tief einzuprägen."
Doch
wie gesagt, die Wüste ist nicht nur Wüste. An anderer Stelle
erklärt Barth:
"Die
Landschaft A'sauäd, die uns ganz natürlich als ein überaus
unfruchtbarer Landstrich erscheint und schon von arabischen Reisenden
aus dem begünstigteren Norden, wie Ebn Batuta, und dem jungen,
später Leo Africanus genannten, aufgeweckten Andalusier als solcher
bezeichnet worden, ist für den in diesen Strichen geborenen
umherziehenden Mauren eine Art Paradies. In den begünstigteren
Örtlichkeiten dieses Wüstenstriches findet er nämlich reichliche
Nahrung für seine Kamele, Ja selbst für einige Stück Rindvieh, und
dabei gewährt ihm der Transport des Salzes von Taödenni nach
A'rauän und Timbuktu die Mittel, sich Korn zu verschaffen, und was
sonst er noch braucht. A'ssauad enthält vier kleine Städte, unter
denen A'rauän die bedeutendste ist."
Das
größte Vorurteil, das von der Wildheit, Barbarei und
Unzivilisiertheit der Afrikaner, dieses Vorurteil konnte Barth nicht
aus der Welt schaffen, obwohl er enorme Anstrengungen unternommen
hat. Dabei idealisierte er nicht wie Nikolaus Lenau, sein
Zeitgenosse, der 1832 nach seiner Amerika-Reise schrieb: Die Wilden
sind doch bessere Menschen. Er romantisierte auch nicht wie Fenimore
Cooper, dessen 'Lederstrumpf' damals seinen Siegeszug um die Welt
antrat. Teilnahmsvoll stellt er die wirtschaftlichen, politischen und
kulturellen Leistungen dieser Gesellschaften und ihrer Menschen dar.
Er tat aber noch mehr. Er sah sie auch in ihrem geschichtlichen
Zusammenhang, wurde dadurch einer der frühesten und entschiedenen
Gegner der Theorie vom Stillstand der afrikanischen Gesellschaften.
Er sah durchaus den Unterschied und den Abstand der europäischen und
afrikanischen Kulturen. Sie erschienen ihm aber keineswegs
unüberbrückbar. Zudem war er sich bewußt, daß es sich nur um ein
paar Jahrhnnderte handelte. In der Geschichte der Menschheit eine
Sekunde. Und Barth sah auch bereits einige der Aspekte, die später
Basil Davidson, 'der große alte Mann der modernen Afrikafroschung',
so zusammenfassen sollte:
"Damals
wie heute überrascht dieser Kontinent durch die verschwenderische
Fülle seiner Natur. Nichts ist mittelmäßig, durchschnittlich. Die
Dimensionen sind groß, oft maßlos. Manche Wüsten könnten die
Hälfte der Landmasse Europas bedecken. Die ungeheure Hitze des Tages
wird nachts von schneidender Kälte abgelöst. Hinter den felsigen
Einöden, die die Wüsten begrenzen, erstrecken sich, durch keine
Erhebung unterbrochen, von Horizont zu Horizont endlose Steppen. Die
großen Wälder und Feuchtsavannen entlocken dem Betrachter immer
wieder Bewunderung über die Üppigkeit ihrer Vegetation. Das ist das
Land der Gräser, deren Ränder scharf sind wie Messerschneiden, der
Dornen, die sich in ihre Opfer krallen und es festhalten wie Haken
aus Stahl, der Ameisenheere, der Myriaden von Fliegen und
Kriechtieren, die beißen und stechen und nagen. In der flimmernden
Hitze, die jede Bewegung unerträglich macht, oder im Regen, der in
lang dauernden, gigantischen Güssen vom grenzenlosen Himmel fällt,
spürt der Wanderer die endlosen Meilen, die noch zwischen ihm und
seinem Ziel liegen. Neben lieblichen, gemäßigten Hochländern gibt
es schroffe Berge und rauhe Hügelländer. Aber auch sie zeigen die
Extravaganzen der Natur.
Jeder,
der durch den afrikanischen Busch reist,wird sich bald wundern, wie
dieses Gebiet überhaupt von Menschen besiedelt werden konnte,
geschweige denn ihnen zur ständigen Heimat wurde. Seine verwirrende
Fülle lauert wie eine Gestalt, bereit, den Raum wieder an sich zu
reißen, sobald der Mensch den Rücken kehrt. Gibt man dem Riesen
Natur auch nur die geringste Gelegenheit, so durchdringt er das ganze
Gebiet und nimmt es in Besitz. Diese Besitznahme ist so
ausschließlich, als hätte nie eine Menschenhand das Land
kultiviert. Jede afrikanische Kultur hat das tiefbegründete Wissen
um den 'Geist des Landes' ...
Die
Bestimmung afrikanischer Zivilisation war es, eine der größten
Landmassen der Welt, die die härtesten körperlichen Anforderungen
an die Menschen stellte, zu bevölkern. Daher sollte man in erster
Linie nach der Mentalität und dem Temperament dieser Menschen
fragen. Es ist norwendig, den Ursprung jener Verhaltensstrukturen zu
erforschen, die gegen alle Widrigkeiten jene Mischung aus tiefer
Ehrfurcht vor dem Vergangenen einerseits und steter, progressiver
Bereitschaft zum Experiment andererseits aufrechterhalten haben.
Bei
den Afrikanern ist die Fähigkeit, eine optimistische Lebenshaltung
zu bewahren, vielleicht stärker ausgeprägt als bei jeder anderen
größeren Zivilisation. Diese Geisteshaltung resultiert aus dem
ständigen Leben an der Grenze, am Rande des 'anderswo', an der
Schwelle zum 'anderen', wo die Möglichkeiten unbegrenzt sind,
solange Mut und Energie des Menschen nicht nachlassen, solange seine
innere Kraft oder sein Dynamismus den Menschen vorwärtstreibt."
Dies
ist die eine Seite der Medaille. Aber Basil Davidson hält, m. W. als
Erster, auch die andere Seite ans Licht. Wie kam es überhaupt zu der
Verzögerung in der afrikanischen Entwicklung? Etwa weil es im
afrikanischen Charakter oder der afrikanischen Kultur so etwas wie
ein retardierendes Moment gäbe oder gegeben habe ?
Beides
wird entschieden von Davidson und schon von Barth zurückgewiesen.
Davidson verweist vielmehr auf die Tatsache, daß die Entwicklung
Afrikas seit der Steinzeit aus der allgemeinen Entwicklung der großen
Völkerfamilie zwischen Rom und Peking ausscherte. Nicht ganz Afrika,
sondern der größere Teil südlich der Sahara. Nordafrika - die
Ägypter, die Karthager, beides afrikanische Völker mit tiefen
Wurzeln in der gesamt-afrikanischen Vergangenheit - nahm weiterhhin
aktiv Teil an der afro-euro-asiatischen Kulturgemeinschaft.
Das
Ausscheren Afrikas geschah nicht freiwillig, war kein früher Akt
einer 'splendid isolation', sondern war erzwungen. Es begann mit der
Austrocknung der Sahara etwa 4000 v. u. Z. Die Sahara, die nach
Leakey, Suret-Canale, Arambourg u. a. als Wiege des Ackerbaus
angesehen wird, damit als Wiege der Zivilisation der Menschheit
überhaupt, die Sahara - wo vor 10 000 Jahren Elephant, Antilope,
Nashorn, Löwe und der Großbüffel 'bubalus antiquus' beheimatet
waren, die bewaldet und mit üppigen Wiesen versehen war und einer
zahlreichen Bevölkerung Platz bot - dieser Teil des Globus begann
vor 4000 Jahren auszutrocknen. Die Austrocknnng war ein langsamer
Prozeß und war nach ca. 2000 Jahren abgeschlossen, womit die
Isolation Afrikas südlich der Sahara fürs erste ziemlich
perfekt war. Die Nabelschnur war zerrissen. Unter diesem
Gesichtspunkt müssen die kulturellen Leistungen Afrikas auch gesehen
werden. Dies bedeutet wiederum, abermals nach Davidson:
"Aller
Wahrscheinlichkeit nach übernahmen die Afrikaner viel aus einer
'gemeinsamen Quelle der Steinzeit', aus der auch andere alte Völker
schöpften. Dabei darf man aber nicht vergessen, daß sich Afrika
lange Zeit in relativ großer Isolation befand, nicht zuletzt auf
Grund der Austrocknung der Sahara, die etwa 2000 v. Chr. begann.
Das
bedeutet, daß in der frühen Eisenzeit, als sich die afrikanische
Zivilisation formte und ausbreitete, die Verbindungen zur Außenwelt
schon längst abgeschnitten oder erheblich verringert waren. Diese
Völker mußten sich deshalb aus eigener Energie und mit eigener
Erfindungsgabe entwickeln und mußten ihre alten
Steinzeit-traditionen völlig neuen, andersgearteten Umständen
anpassen. Die Wege, die sie dabei einschlugen, bilden den Gegenstand
der Kulturgeschichte Afrikas."
Bewußt
habe ich das Originalzitat wiedergegeben, aus Davidson's Buch 'Die
Afrikaner', 1969 erschienen, um zu zeigen, wie heute in der
Afrikaforschung, die erst am Anfang steht, nur wenige Jahre genügen,
um ihre Daten veralten zu lassen. Sie haben es bemerkt, lieber Hörer,
die Angaben über die Austrocknung der Sahara differieren auf Grund
neuester Forschungen um 2000 Jahre. Dies ändert aber nichts an der
grundsätzlichen Aussage Davidsons, läßt im Gegenteil die
zivilisatorische Leistung der Afrikaner in noch schärferem Licht
hervortreten. Heinrich Barth, mit den Worten Davidsons "der
größte der Reisende des 19. Jahrhunderts, obwohl seltsamerweise
selbst heute noch unbekannt", er hat zu dieser Sicht
Afiikas erheblich beigetragen, so daß Alexander v. Humboldt von ihm
mit Rec ht sagen konnte:
"Er
schloß uns einen Erdteil auf."
Am
15. Dezember 1849, vor genau 130 Jahren, betritt Barth in Tunis zum
zweiten Mal afrikanischen Boden.
"Wir fingen sogleich an, uns mit Kleidungsstücken zu versehen, da
Tunis ein kleines Paris ist und in Kunstschneiderei Tripoli den Rang
abläuft. Mittlerweile unternahmen wir täglich höchst interessante
Ritte nach der Stätte des alten Karthago."
Am
30. Dezember brachen Barth, der sich fortan auf seiner Reise Abd el
Kerim, Diener des Allerhöchsten, nennt und Overweg, ein deutscher
Naturwissenschaftler, von Tunis auf und erreichen am 3.
Januar
1850 Tripolis, die heutige Hauptstadt
Libyens,
damals eine türkische Provinzstadt. Die Vorbereitungen für die
große Reise nahmen drei Monate in Anspruch. Dafür nimmt sich der
junge, vor Ungeduld brennende Barth stets die Zeit. Diese Eigenschaft
hat sicherlich nicht wenig zum Gelingen der Expedition beigetragen.
Er ist ein Mann, der alles im voraus bedenkt. Sorgfältig kauft er
ein: Muscheln, Stoffe, Nadeln - die gängigen Währungen im Sudan-
Geschenke für die zu besuchenden Fürsten und Sultane, was sehr viel
Fingerspitzengefühl
erfordert, ferner Kleider, Bücher, Medikamente, Instrumente, Waffen,
Kochgeräte, Zelte verschiedener Größe, Proviant für Mensch und
Tier, und das Wichtigste, Wasser, das damals in ledernen Schläuchen
transportiert wurde. Am Ende bestand die Karawane - auf arabisch
kafla - der beiden Deutschen und Richardsons aus 20 Kamelen,
einschließlich der drei Reittiere. Ebenso wichtig war die Frage des
Begleitpersonals. Darunter ist der Führer der kafla der Mann, in
dessen Händen das Leben der ganzen Karawane liegt. Er darf sich über
die einzuschlagende Richtung niemals im Zweifel sein, darf zwei
Steine, die einander zum Verwechseln ähnlich sind, er darf sie nicht
verwechseln, denn der Wasservorrat ist genau bis zum nächsten
Brunnen oder Wasserloch berechnet. Denn der Transport von zu viel
Wasser verlangsamt das Marschtempo, von zu wenig ebenfalls.
Schließlich
macht Barth mit seinen Leuten noch ausgedehnte Trainingsmärsche, übt
das Be- und Entladen und das Zeltaufschlagen. Doch endlich war es so
weit und er notierte:
"Es
war spät nachmittags am 24. März 1850, als Overweg und ich in
feierlichem Aufzuge, auf unseren Kamelen sitzend, die Stadt
verließen. Unser Zelt schlugen wir bei herrlichem Mondscheine am
Rand der
kleinen Baumgruppe von 'Ain Sarah auf. An dieser Stätte hatte bis
zum Jahre
1835 ein kleines Dorf gestanden. Gegenwärtig lebt kein Mensch hier -
eine traurige Folge der kriegerischen Erhebungen gegen die türkische
Herrschaft. Die Brunnen sind mit Erde angefüllt und die
Dattelpalmen, pflegender Sorgfalt entbehrend, sind teilweise vom
Sande verschüttet, der sich hier in großen Hügeln angesammelt hat.
Bei alledem ist es noch ein anziehender Platz, eine Mischung von
angebautem Lande und von Wüste, während eine Gruppe von etwa
10 Olivenbäumen, welche ihren frisc hen, kühlen Schatten über
einen grünen Wiesenteppich breiten, einen willkommenen Rastplatz
bilden. Rund umher ist viel angebautes Land, aber die spärliche,
halb erstorbene Saat war kaum im Sande zu erkennen.
An
dieser Stelle war es, wo mir bei meiner glücklichen Rückkehr im
August 1855 Herr Reade, der Vize-Konsul, entgegenkam und eine Nacht
mit mir gelagert blieb. Damals war ein Brunen sehr schönen Wassers
gegraben und ein Steinhäuschen von einem Tripolitaner Kaufmann
erbaut worden.”
Bezeichnend
für Barth, für den heutigen Leser modern anmutend, sind seine
häufigen Rückblenden auf Europa, die freilich auch den Zweck
verfolgen, Fehlurteile zu bekämpfen, wie hier beim Anblick der
Festung Kasr Dauän:
"So
bildete das Ganze eine überaus interessante Stätte, zu der leider
nur der lebendige Kommentar der Geschichte fehlte, um sie ebenso
interessant zu machen, als irgend eine der Burgen am Rhein oder an
der Lahn, und dies ist der Mangel, der diese Beschreibung dieser
Gegend einförmig erscheinen lassen muß. Denn wo ist je mehr
Ritterlichkeit
gewesen, als unter den kleinen arabischen Raubrittern des 13.
Jahrhunderts? Ist nicht erst von ihnen der wahre Begriff der
Ritterlichkeit - fatua - zu den christlichen Völkern übergegangen?
Der jetzige Zustand des Landes ist derart, daß die Eingeborenen
sich ganz von freier Mitteilung zurückziehen und jeden mit Mißtrauen
betrachten, der unter dem Schutze ihrer Zwingherren das Land
besucht."
Dies
mußte Barth besonders treffen, da er überall zuallererst Kontakt
zur Bevölkerung herstellt. Kurz darauf räumt er gleich mit einem
weiteren Vorurteil auf, das bis heute in unseren Schulbüchern
erhalten wird. Ich meine die angebliche Intoleranz des Islam:
"Die
Existenz einer christlichen Gemeinde, oder eines Klosters, in diesem
abgelegenen Tale, einige hundert Kilometer von der Küste entfernt,
zum wenigsten noch in der Zeit des 12. Jahrhundert, unter dem Schutz
eines mächtigen Häuptlings ... hat durchaus nichts
Unwahrscheinliches, da wir sehr gut wissen, daß Mohammed
ausdrücklich befahl, die eifrigen Priester und Mönche unangefochten
zu lassen, und da wir so viele Klöster in manchen anderen
mohammedanischen Ländern finden; Bischöfe wurden ununterbrochen für
diese Gegenden ordiniert."
800
Kilometer südlich von Tripolis, in der Nähe von Mursuk, stößt
Barth auf ein Phänomen, mit dem er nichts anzüfangen weiß:
"Es
geht in Tekertlba das Gerede, wie ganz abgeschmackt es auch scheint,
daß auf der höchsten Klippe der das Tal im Süden begrenzenden
Felswand eine Quelle entspringe und daß diese einen Bach bilde, der
unter der Erde in die Talsohle hinabflöße; früher, sagt man, wären
auch Stollen dagewesen, welche nach dieser unterirdischen Wasserader
geführt hätten, aber nun ganz verschüttet wären."
Nun
liest sich dies aber wie eine recht genaue Beschreibung eines
Karezes, jener wunderbaren und technisch hochentwickelten
Bewässerungstechnik, deren Herkunft bis heute im Dunkel liegt. Jan
Myrdal gibt in seinem Buch 'Die Seidenstraße' ihre Verbreitung an:
von den Wüstengebieten des nördlichen China, Sinkiang, Afghanistan,
Turkestan, Persien, Vorderasien bis 300 Kilometer westlich des Nil.
Diese Beschreibung könnte die Verbreitungsgrenze der Karez-Technik
die Barth offenbar unbekannt war, um weitere 1500 Kilometer weiter
westlich verschieben.
Davidson
gibt in seinem Werk 'Afrika' einen leider etwas unpräzisen Hinweis,
der in diese Richtung deutet:
"In
den Oasen der Sahara wurde die gleiche Technik der unterirdischen
Wasserleitungen – foggara – angewandt, wie sie in den Oasen der
zentralasiatischen Wüste von chinesisch-Turkestan gebräuchlich
waren. Ein weiterer Beweis des ständigen Gedankenaustausches in der
Welt des Islam."
Foggara oder karez oder qanat |
[Dazu
muss ich hier eine Einfügung machen. Bei meiner Reise durch den
ägyptischen Teil der libyschen Wüste und ihre Oasen habe ich an
zwei Plätzen Kareze entdeckt, die dem Reiseleiter völlig unbekannt
waren. Außerdem habe ich im Internet gefunden, dass der Name
'foggara' oder in Marokko auch 'fokkara' in Nordafrika zur
Bezeichnung eines 'karezes' gebräuchlich ist, und seine Ausdehnung
bis an die Küste des Atlantiks reicht. Unter diesem
Link findet man ausführliche Beschreibungen und schematische Zeichnungen, auch Videos über
diese unglaubliche Technik. Die phantastischste Anlage habe ich in
einem Video von einem Karez auf einer persischen Insel gesehen.
Phänomenal.]
Ausfluss der Foggara in der Oase und Wasserverteiler |
Am
6.
Juli morgens, es war herrlich frisch und kühl, hält die Karawane
überraschend nach einem knappen Dutzend Kilometern an und beginnt
das Lager in einem romantischen Wadi - das im Sommer trockene Bett
eines Flusses - aufzuschlagen. Barth will schon protestieren …
"
... indeß wurden wir bald durch das ungewöhnliche Interesse,
welches das Tal erregte, mit diesem Lagerplatz völlig ausgesöhnt.
Schon
der ganze Charakter des Tales, das zwischen steilen Felswänden
eingeschlossen und mit schönen Talhabäumen bewachsen war, ließ uns
unseren Führern ohne viel Widerstreben folgen."
Der
Gegenstand des Interesses: Barth stand vor den mittlerweile
weltberühmt gewordenen Felsmalereien der Sahara, deren Zentrum, das
Tassili-Gebirge mit den schönsten Maleien, das aber noch weiter
westlich liegt, von Barth gar nicht berührt wurde. Er war der Erste,
der sich mit ihrem Entstehen und ihrer Bedeutung auseinandersetzte,
sozusagen die Sahara-Archäologie begründete. Hingerissen schreibt
er:
"Einige
der Rinder sind in der Tat bewunderungswürdig gearbeitet, mit einer
Genauigkeit, welche der Vermutung Raum gibt, der Künstler habe die
Gegenstände seiner Arbeit vor Augen gehabt. Meine Skizze kann nur
eine sehr schwache Idee von der wahrhaft schönen, lebensvollen
Gruppe geben ... Dieses Bild begründet die Annahme, daß Rindvieh zu
jener Zeit in diesen Gegenden nicht nur gewöhnlich gewesen, sondern
sogar ausschließlich anstatt des Kameles als Lasttier benutzt worden
sei. Das Kamel nämlich sucht man auf den Skulpturen vergeblich.
Übrigens ist es eine wohlbekannte Tatsache, die jetzt nach mehreren
unumstößlichen Beweisen zur Gewißheit geworden ist, daß das Kamel
selbst in Nord-Afrika erst zu späterer Zeit eingeführt ward."
Was
Barth als Hypothese formuliert, hat sich inzwischen voll und ganz
bestätigt. Wir wissen heute nicht nur, daß die Heimat des Kamels
Sinkiang ist, wo es heute noch wild vorkommt, sondern auch, daß die
Sahara einmal grün war, und die von ihm gesehenen Skulpturen in eine
zyklische Feuchtperiode, die sogenannte 'Rinderzeit', fallen. Barth
ging in der Analyse der Skulpturen noch weiter. Er war sich sicher,
daß sie nicht auf außerafrikanische Einflüsse zurückgingen.
Heute
scheint umgekehrt sich die Erkenntnis durchzusetzen, daß es
Einflüsse aus dem Innern der Sahara auf Ägypten bis hin nach
Griechenland gegeben habe. Daß möglicherweise sogar die intensive
Besiedlung und Bebauung des Niltales eine Folge der Austrocknung der
Sahara sein könnte, zumal erst um 5000 v. u. Z. die alluvialen
Ablagerungen im Niltal eine solche Stärke erreichten, daß Ackerbau
möglich wurde. Ein anderes Beispiel nennt Davidson:
"Herodot
berichtet, daß es die Lybier waren, die den Griechen beibrachten,
vier Pferde vor einen Wagen zu spannen. Aber wer lehrte die Lybier,
einen Wagen zu malen, der mit Pferden im fliegenden Galopp
daherbraust ?"
Und
er nennt das betreffende Gemälde aus den Tassilibergen ein Motiv
griechischer Kunst. Davidson faßt zusammen:
"Hier,
in der uralten Gemeinschaft der Kulturen zwischen Nil und Atlantik,
kann man in der Tat den Ursprung finden für viele dunkle, aber
fortlebende Übereinstimmungen des Denkens und Verhaltens
afrikanischer Völker, die heute weit entfernt und scheinbar isoliert
voneinander leben. Nicht als einfache Auswirkung des Ägyptens der
Pharaonen, somdern als noch ältere Ausstrahlnng der Sahara-Sudan-
Gemeinschaft ist es wahrscheinlich zu erklären, daß Vidder und
Pythonschlange rund um die Sahara und weit darüber hinaus als
religiöse Symbole gelten und daß sich so viele verwandte soziale
Verhaltensweisen und Einrichtungen in weit voneinander getrennten
afrikanischen Völkern finden."
Ein
einziges Mal auf seiner großen Reise gerät Barth in wirkliche
Lebensgefahr, noch dazu durch eigenes Verschulden, was eine Menge
über die Sicherheit der innerafrikanischen Verkehrswege aussagt.
Barth hatte es sich in den Kopf gesetzt, entgegen dem ausdrücklichen
Rat der kafla-Führer, den Berg Idinen zu besuchen, wegen seiner
bizarren Form 'Palast der Geister' genannt. Er hoffte dort zwar nicht
Geister und blühende Palmenhaine zu finden, wie diese ihn versichert
hatten, sondern Skulpturen und Inschriften. Er sollte Unrecht und
seine Führer Recht behalten. Sogar der Todesengel hielt ihn schon im
Arm.
In
aller Frühe machte er sich zu seinem gefährlichen und
gotteslästerlichen Unternehmen auf. Die Mauern und Zinnen und
Türmchen des Idinenberges lagen in greifbarer Nähe und übertrafen
noch die zügellose Phantasie eines Gustave Doré. Nach einigen
Stunden Marsch, auf dem ihm nur einige zutrauliche Antilopen begegnet
waran, scheint er der Geisterburg keinen Meter näher gekommen zu
sein. Mühsam arbeitet er sich über Sandhügel und spitzes Gestein.
Die Führer hatten Recht, der Weg war weiter als er dachte und für
Kamele unpassierbar. Beim Näherkommen bemerkt er, daß die Bergkette
hufeisenförmig ist, und die höchste Erhebung, die er ersteigen
wollte, am weitesten entfernt lag. Deshalb hält er sich jetzt zur
Linken, in östlicher Richtung und erreicht nach vier Stunden, gegen
10 Uhr früh, in äußerster Ermattung den Kamm. Die Sonne brennt
unbarmherzig. Von
Schatten
keine Spur. Ebensowenig von Skulpturen und
Inschriften.
Und
trotz der großen Fernsicht kann er nichts von seiner kafla
entdecken, die schon zum nächsten Brunnen vorausgezogen war.
Erschöpft ruht er eine Weile. Er bringt weder einen Zwieback noch
eine Dattel hinunter. Mit seinem Wasser muß er haushalten. Er muß
aufbrechen, auch wenn er nicht erfrischt ist, Richtung Südosten, um
seine kafla zu treffen. Stark bläst der Wind aus Osten.
SKETCH
I
Barth
(Pfeifen und Heulen des Windes. In der Lederflasche gluckert Wasser):
" Nein. Dort hinten müssen sie sein. Hatita hat mir doch
gesagt, sie würden nicht weit vom Berge lagern. (Bleibt stehen,
schüttelt die Wasserflasche) Soll ich trinken ? Nein. Nein. (Ein
paar Schritte. Gluckern) Einen Schluck nur, einen Tropfen.(Bleibt
stehen. Entkorkt die Flasche und trinkt sie völlig leer) 0 Gott, was
hab ich getan. Kein Tropfen mehr. Jetzt hilft alles nichts, jetzt muß
ich sie finden (schnelle Schritte), ich muß mich beeilen, dort zum
Hügel (keuchend). Jetzt werd ich sie sehen (bleibt stehen, Wind,
Keuchen), wo (geflüstert) seid ihr, wo ... Die Pistolen, Mensch, daß
ich nicht eher daran dachte (gibt einen Schuß ab), das müssen sie
hören (noch einen Schuß, keine Antwort, Wind), der verdammte
Ostwind. Ich muß dort zu dem Hügel. (rennt den Hügel hoch -
Keuchen) Nichts, nichts. (Noch ein Schuß) Wo seid ihr denn … los,
alter Knabe, keine Zeit zum Träumen, weiter, schneller, da hast du
dir etwas eingebrockt (Schritte entfernen sich und nähern sich
wieder). Dort, was ist das ? Ein Phantasiegebilde? Hütten! Wie
kommen denn Hütten hierher? (beschleunigt die Schritte).
Tatsächlich. Eine Hütte. Leer. Und dort. Auch leer. Alles verlassen
und der Brunen versandet. Kein Wasser, kein Mensch. Mein Gott, es ist
schon 6 Uhr, gleich wird es dunkel, ich muß Holz für ein Feuer
sammeln, Holz sammeln (er sackt schwer zusammen). Holz sammeln
(geflüstert) Ohhh. (Kurze Pause. Zunehmender Wind, Stöhnen) Wo bin
ich, ich habe geschlafen, (Husten, Krächzen) wo, dort, was ist das ?
Ein Feuer? Bin ich verrückt? Dort hinten. Doch, meine Leute (er gibt
2 Schüsse ab, starkes Echo) Oh, der Wind - (niedergeschlagen) sie
können mich nicht hören, sie hören mich nicht ... mein Kopf, hört
ihr, mein Kopf (jammert, stürzt hin) mein Kopf (immer leiser), mein
Schädel, Wasser, Wasser (Pause, der Wind wird stärker). Dort
hinten, Vater, siehst du die Kamele nicht, (krächzend) Vater, na
los, gib ihnen doch Zeichen, warum stehst du da und tust nichts,
Vater, die Palmen, schnell, ich verdurste, meine Kehle, Vater, du
läßt deinen Sohn verdursten, dort der Pumpenschwengel ... Ich will,
du mußt nur, ich will selbst ... Wasser, Wasser (Heulen des Windes,
Kamelschrei) aman, aman (mit sehr erschöpfter Stimme), Wasser,
Wasser.
Targi:"
Iwua, iwua, ja doch, ja doch, mein Sohn ( kommt schnell
herangeritten, springt ab). Allah sei Dank, hier hab ich dich
gefunden ... Nein, nein, warte einen Moment, erst den Kopf
besprengen." Barth (mit schwacher Stimme):" El hamdu
lillahi, el hamdu lillahi, aman, gelobt sei Gott, Wasser."
(Wasserplätschern)
Targi:"
El hamdu lillahi, warte mein Sohn, gleich, gleich bekommst du Wasser,
erst muß ich dir den Kopf waschen, sonst wirst du sterben, el
hamdulillahi, so jetzt, jetzt darfst du trinken (trinkt gierig, Wind,
Kamelschrei).“
So
wurde Barth nach zwei Tagen und einer Nacht gerettet durch einen
Zufall. Um ein Haar hätte seine Reise an einem Sandhügel nur wenige
Kilometer nördlich der Wüstenstadt Rhat geendet und niemals hätte
man seinen Namen mehr gehört. Fortan vertraute er auch mehr auf
seine Führer als auf seine Sinne, die in der äußerst klaren
Wüstenluft gar arg getäuscht werden können.
Kurz
daraif betrat Barth in Rhat die erste größere Stadt von A'ir, dem
Wüstenstaat der Asgar und Kelowi-Tuareg. Hier gerät die Expedition
durch undiplomatisches Verhaltan des englischen Leiters Richardson
mitten in die Fehden und Intriguen der verschiedenen Tuareg-Völker
und wird sogar mehrmals überfallen. Kern der Auseinandersetzungen
sind die Zölle, die A’ir von den durchziehenden Karawanen erhebt,
und die einen wesentlichen Teil des Staatshaushalts ausmachen. Denn
A'ir besaß eine Schlüsselstellung im Handel zwischen der türkischen
Provinz Fezzan und den afrikanischen Königreichen Sokoto, Bornu,
Sonrhay und Gando.
Im
August 1850 hat Barth die große Wüste durchquert und besucht
Tintellust und Agades, die Hauptstadt von Air. Er hat damit die
Grenze zum heutigen Niger überschritten. Sie durchziehen eine
Alpenlandschaft - das A‘ir-Gebirge, wo schroffe Berge mit Tälern
üppigster Fruchtbarkeit einander abwechseln. Zu Barth's großem
Erstaunen verwandelt die einsetzende Regenzeit, selbst so weit
nördlich, trockene Flußbetten unglaublich schnell in reißende
Flüsse, die Häuser, Mensch und Tier mit sich fortreißen.
Unversehens geriet die Expedition selbst einmal in eine mißliche
Lage. Sie hatte die Zelte auf einem Hügel aufgeschlagen, der sich
recht plötzlich in eine immer kleiner werden Insel inmitten eines
schäumenden Stromes verwandelte. Die Fluten hielten zu ihren Füßen.
Anläßlich
seines Besuches von Agades, wo er zufällig den gelehrten 'Abd-Allah
trifft, macht er eine in mehrerer Hinsicht beachtenswerte Anmerkung:
"Ich
will hier nur noch einmal die Verpflichtung erwähnen, welche ich dem
Tauäter 'Abd-Allah für seine ausgezeichnete Belehrung über eine
Reihe der interessantesten Verhältnisse schüldig bin; in der Tat
fand ich alle seine Mitteilungen in der Folge bestätigt. Es ist
selbstverständlich, dass manche Punkte seiner Angabe der
Berichtigung und noch mehrere der Verbesserung bedurften; aber nicht
in einem einzigen Falle fand ich, daß er von der Wahrheit abgewichen
wäre. Ich führe dies hier absichtlich an, um zu zeigen, daß bei
den Nachrichten von Eingeborenen unterschieden werden muß zwischen
Aussagen, welche systematisch von jemandem gesammelt werden, der das
ganze Vertrauen seines Berichterstatters genießt und durch Kenntnis
der Sprache und des Gegenstandes,
über welchen er seine Forschungen anstellt, in den Stand gesetzt
ist, die Angaben der Mitteilungen zu kontrollieren - und zwischen
solchen Nachrichten, welche gelegentlich von einem, der selbst kaum
weiß, wonach er fragt - aufgegriffen werden."
Diese
Aussage - gleichzeitig eine herbe Kritik an manchem seiner
Forscherkollegen - zeigt zum einen Barths Methode, die eigentlich
äußerst modern zu nennen ist, sich aber bei weitem nicht allgemein
durchgesetzt hat: gründliche Kenntnis des Forschnngsgegenstandes,
Erlernnng der jeweiligen Landessprache und Herstellung eines
Vertrauensverhältnisses. Der letzte und wichtigste Punkt ist
natürlich von denjenigen überhaupt nicht zu erfüllen, die mit
missionarischem Sendungsbewußtsein oder kulturchauvinistischen
Vorstellungen in fremde Länder gehen. Zum anderen zeigt sie die
Korrektheit, mit der Barth seine Quellen angibt, und wie er dankbar
der vielen Menschen gedenkt, ohne deren Informationen sein Werk kaum
zustande gekommen wäre, was seiner Größe nicht den geringsten
Abbruch tut, im Gegenteil.
Vier
Monate später, nachdem Barths kafla die Heimat der Giraffe, des
schwarzen Straußes, wilder Ochsen und Pferde durchzogen hatte,
betritt er in Dameggou, heute die südlichste Provinz des Niger, eine
äußerst fruchtbare Landschaft.
"Unser
Weg führte nun durch anmutiges, parkähnliches Hügelland, das sich
fast gleich blieb bis 4 Uhr nachmittags, wo wir in einiger Entfernung
zur Linken die ersten Kornfelder von Damergou erblickten, welche den
Dörfern Kulkerki und Banuelki zugehörten.
Hier
nun hatten wir endlich jene fruchtbare Region des Innern Afrikas
erreicht, die nicht allein ihre eigene Bevölkerung ernähren kann,
sondern selbst jetzt bei wenig Industrie genug erzeugt, um fremde
Länder zu versorgen. Hier war ein reichlicher lohnendes Feld für
unsere Bemühungen eröffnet, ein Gebiet, das in der zukünftigen
Geschichte der Menschheit von der höchsten Wichtigkeit werden
dürfte."
Wie
bitter sähe sich Barth heute in seinen Hoffnungen getäuscht, denn
er spricht vom Zentrum jenes Gebietes, was uns allen heute als
Sahel-Zone geläufig ist. Erinnern wir uns der Schlagzeilen und
Berichte von 73-74 auf dem Höhepunkt der Katastrophe, die sich im
vergangenen Jahr wiederholte:
"Größte
Dürre seit sechs Jahrzehnten. Niger ist von der Dürre, die
die
Sahel-Zone seit 1968 heimsucht, am schwersten betroffen worden.
Erdnüsse, Erdnußprodukte und Vieh waren, außer dem Uran von Arlit,
bisher die Hauptdevisenbringer. Aber die Herden der Tuareg- und
Peulh-Nomaden sind spätestens im vergangenen Jahr eingegangen, und
die Erdnußproduktion mußte zugunsten der Lebensmittel eingeschränkt
werden ...“
"
Sechs Millionen sind noch nicht tot. Die Bauern der Sahel-Zone, die
seit 4 Jahren nicht mehr ernten konnten, haben längst begonnen, das
Saatgut als Nahrung zu verwenden …"
"Vier
Millionen Tiere verhungerten. Die Tiere starben - die Schafe, Ziegen,
Rinder und Kamele - und dann die Menschen. Zuerst die alten und dann
die Kranken und Kinder.”
Anmerkung
eins aus dem aufsehenerregenden Buch der Amerikaner Collins- Lappé
'Vom Mythos des Hungers - die Entlarvung einer Legende':
„Aber
in den ersten Jahren der Hungersnot in der Sahel-Zone wurden von dort
mehr Agrarprodukte von vorwiegend ausländischen Gesellschaften nach
Europa und den USA exportiert als je zuvor. Zur gleichen Zeit gab es
am Tschad Rekordernten an Baumwolle ...
Jahrhundertelang
haben die Nomaden in der Sahel-Zone mit einem ökologischen
Erfahrungsschatz ohnegleichen die Ressourcen der Wüste genutzt und
schlimmere Dürren als die jetzige überlebt, bevor die Steuern der
Franzosen, aber auch der Anreiz höherer Exportpreise sie dazu
brachten, ihre Herden riesenhaft zu vergrößern. Die Folge:
Überweidung
... Die Bodenerosion durch den Baumwollanbau tat dann ein übriges."
Anmerkung
zwei, aus einer renommierten Tageszeitung von dem schon erwähnten
Schiffers, um zu zeigen, wie ein Übel das nächste im Gefolge hat:
"Seit
Beginn der Beobachtungen auf Barbados in der Karibik im Jahre 1965
haben die Wüstenstaubkonzentrationen von damals 5 bis 6
Mikrogramm pro Kubikmeter Luft kontinuierlich zugenommen … Da die
Vermehrung der Wüstenstäube ein Jahr nach einem besonders
niederschlagsarmen Jahr auftritt, führt die Erhöhung der
Staubkonzentration auch im Folgejahr zur Reduzierung der
Niederschläge … Bei starker Überforderung des Bodens ist also zu
erwarten, daß sich eine nur ein- oder zweijährige klimatische Dürre
zeitlich über Jahre ausweitet."
Einen
derartigen Raubbau an den vorhandenen Ressourcen in einem Land, in
dem er kein Elend sah, konnte Barth schwerlich voraussehen. Auch
kannte er damals nicht den Sinn einer von ihm häufig gemachten
Beobachtung, daß nämlich mehrere Kulturpflanzen zasammengepflanzt
werden. Heute wissen wir, daß es eine der effektivsten Maßnahmen
gegen die Bodenerosion ist.
Nach
diesem Vorgriff in die Zuknnft eilen wir, um Heinrich Barth in Kano,
dem afrikanischen 'London', der Hauptstadt von Sókoto zu treffen, im
heutigen Nord-Nigeria gelegen. Anschaulich und lebendig schildert er
das Leben in dieser von einer riesigen Mauer, einem Wunderwerk für
sich, wie er sagt, umgebenen Stadt. Im Unterschied zu europäischen
Städten lag ein Großteil der Felder, die den städtischen Bedarf
deckten, innerhalb der Mauern der Stadt.
"Es
war ein schöner Morgen, und die ganze Szenerie der Stadt mit der
Mannigfaltigkeit von Lehmhäusern, Hütten in aller möglichen
Gruppierung, mit freien Plätzen, auf welchen Rinder, Pferde, Kamele,
Esel und Ziegen in bunter Gemeinschaft miteinander weideten; große
und tiefe Gruben, mit Wasser hoch gefüllt, dessen Oberfläche von
Wasserpflanzen bedeckt und belebt war, oder frisch gegraben, um das
nötige Material zu neuen Wohnungen zu gewinnen; die einzeln umher
zerstreute Flora von den verschiedensten und schönsten Arten: alles
das bildete eines der belebtesten und anregendsten Schauspiele.
Während die nördlichen Quartiere der Stadt durch das weite
Umsichgreifen der eindringenden Araber mit ihren abgeschlossenen
Tonwohnungen viel von ihrer ursprünglichen Eigentümlichkeit
verloren haben, gewährt der südliche Teil, abgesehen von den
großen, doch auch mehr in einheimischer Weise errichteten Palästen
des Sserki und seiner ersten Hofleute, ein Bild afrikanischen Lebens
in der reichsten Fülle, indes die überall in den Gehöften der
Dattelpalme sich anschließende Gonda mit ihrer schönen Federkrone
dem Ganzen ein überaus malerisches Gewand verleiht.“
Barth
schildert den weiträumigen, labyrinthartigen Palast, in dem er
inmitten von müßigen Hofleuten vom Vezier znr Audienz empfangen
wird. Er stellt kritische Betrachtungen über die Verwaltung der
reichen Provinz Kano an, dem 'Garten des Sudan'; der Hof mit seinem
aufgeblähten Apparat von Edelleuten, Dienern, Sklaven und Beamten
kümmere sich mehr um Intriguen und das eigene Wohlergehen,
denn
um das Wohl und die Sicherheit des Volkes. Abermals wendet er sich
dem Leben in der Stadt zu:
„Wie
wir uns so kreuz und quer durch alle bewohnten Quartiere wandten,
konnte ich von meinem Sattel aus all die verschiedensten Szenen des
öffentlichen und privaten Lebens übersehen … Es war ein reiches,
lebendiges Bild einer kleinen Welt für sich, äußerlich durchaus
dem, was man in europäischen Städten zu sehn gewohnt ist,
verschieden und doch in seinen vielfachen Triebfedern so ähnlich.
Hier war eine Reihe Läden voll einheimischer und fremder Waren, mit
Käufern und Verkäufern in allen Abstufungen von Gestalt, Farbe und
Kleidung, aber alle auf das eine Ziel bedacht, durch Übervorteilung
des andern sich einen kleinen Gewinn zu machen; ein anderer Teil der
Buden war mit Lebensbedürfnissen aller Art angefüllt, wo der Reiche
die schmackhaftesten Dinge für sein Haus findet und der Arme anhält
und begierig auf ein Stück trockenes Brot schaut, um seinen Hunger
zu stillen. Hier ein reicher Herr, in Seide und glänzende Gewänder
gekleidet, auf einem edlen und reich verzierten Rosse sitzend,
gefolgt von einem zahlreichen Trosse übermütiger und träger
Sklaven; dort ein armer Blinder, der seinen Weg langsam durch die
Menge fühlt und jeden Augenblick niedergetreten zu werden fürchtet.
Hier ein nett mit neuen Matten und Rohr eingezäunter Hofraum, mit
allen Bequemlichkeiten, wie das Land sie bietet, ausgestattet; eine
reinliche, häuslich und gemütlich aussehende Hütte mit
wohlgeglätteten Lehmmauern, eine sauber geflochtene Rohrtüre an das
wohlgerundete Tor gelehnt, um alle unbefugten Eindringlinge von dem
Geheimnis des Familienlebens auszuschließen; ein reinlicher Schuppen
für die tägliche Hausarbeit, beschattet von einer schönen, weit
sich ausbreitenden Alléluba, die
in
den heißen Tagestunden kühlen Schatten gewährt, oder von einer
schönen Gónda oder Dattelpalme.
Dort
die rege Marina, Färberei, eine offene Terrasse aus Lehm, zwei oder
drei Fuß über den Boden erhöht, mit einer größeren oder
geringeren Anzahl von Färbetöpfen; ein Mann,die Flüssigkeit
umrührend und mit einem zweckdienlichen Holz die gestampften
Indigoblätter mischend, um dem Stoffe die reiche Tinte zu geben;
dort ein anderer, ein wohlgesättigtes Hemd aus dem Topfe ziehend und
an einem Baum oder an einem Seil aufhängend; dort zwei andere
Männer, ein gefärbtes und getrocknetes Hemd in regelmäßigem,
harmonischem Takt schlagend, um ihm den feinsten Glanz zu geben.
Weiterhin ein Grobschmied, geschäftig, mit seinem rohen Werkzeug
einen Dolch, über dessen Schärfe der Beschauer, welcher über die
Werkzeuge lachte, erstaunt, oder einen furchtbaren, mit Widerhaken
versehenen Speer oder die schätzbareren und nützlichen Instrumente
zum Ackerbau zu fertigen. An anderer Stelle Frauen und Männer, in
einer weniger belebten Straße ihr Baumwollengarn auf die Zäune
hängen. Hier eine Gruppe lässiger und träger Umhertreiber. Da ein
zahlreicher Zug aus dem fernen Lande Gondja heimkehrender
einheimischer Handelsreisender beladen mit der allgemein begehrten
Nuß, dem Kaffee des Sudans, deren Genuß niemand sich versagt, der
von seinen dringendsten Bedürfnissen 10 Kurdi erübrigen kann. Hier
bricht eine Karawane, mit Natron beladen, nach Nupe oder Nyffi auf;
oder ein Trupp Tuareg zieht zur Stadt hinaus, um Salz nach den
Nachbarplätzen zu bringen ..."
Barth
beschäftigt sich auch eingehend mit der Geschichte der Stadt und den
politischen Verhältnissen des Landes, aber auch mit der Sprache und
der Architektur. Lange verweilt er beim Handel und der Industrie, was
schließlich zu seiner offiziellen Mission gehörte. Er weiß
Erstaunliches zu berichten.
"Der
Haupthandel von Kano besteht in einheimischen Fabrikaten, besonders
in Baumwollenzeugen, die in der Stadt selbst oder den umherliegenden
kleinen Ortschaften der Provinz aus einheimischer Baumwolle gewebt
und mit selbstgezogenem Indigo gefärbt werden ...
Es
ist der große Vorteil von Kano, daß Handel und Manufaktur Hand in
Hand gehen und daß fast jede Familie ihren Anteil daran hat.
Es
ist wahrhaft etwas Großartiges in diesem Industriezweige. Während
er sich im Norden bis Mursuk und Rhat, ja selbst bis Tripoli
verbreitet, erreicht er im Westen nicht nur Timbuktu, sondern selbst
die Küsten des Atlantischen Ozeans; gegen Osten erstreckt er sich
über ganz Bornu, obwohl er dort mit der eigenen Manufaktur der
Eingeborenen in Berührung kommt. Was Timbuktu betrifft, so ist es
eine in Europa gänzlich unbekannte und doch so überaus merkwürdige
Tatsache, daß, so viel man auch von dem feinen Baumwollenzeuge, das
in Timbuktu gefertigt wird, sprechen mag, doch alle dort getragene
Kleidung besserer Qualität aus Kano oder Ssanssändi eingeführt
wird, wenn sie nicht aus englischem Kaliko besteht."
Und
gegenüber den 'Stagnationstheoretikern' betont Barth abermals:
"Welch
ein unendlicher Fortschritt und welche gänzliche Umwälzung aller
Verhältnisse stellt sich in diesem Umstande dar, wenn wir ihn mit
dem von Leo Africanus beschriebenen vergleichen! Damals der Markt von
Garho voll Gold und Handelsleben, jetzt Kano eine ungeheure Stadt
voll Leben und Industrie, einen großen Teil des Kontinentes, selbst
die Bewohner der Ruinen eben jener Hauptstadt des Sonrhay-Reiches,
mit ihren Manufakturen versorgend!
Ich
glaube,mit Recht die durchschnittliche jährliche Gesamtausfuhr
dieser Manufakturen zum Werte von 300 Millionen Kurdi veranschlagen
zu können. Dieser Gewinn bleibt ganz allein im Lande und kommt der
ganzen Bevölkerung zu Gute. Und welch eine Quelle nationalen
Reichtums dies ist, werden meine Leser schätzen können, wenn ich
sage, daß eine Familie, alle Ausgaben, auch für Kleidung, die sie
doch meist selbst fabrizieren, eingeschlossen, mit 60 000 Kurdi
jährlich in sehr angenehmen Umständen leben kann. Überdies müssen
wir bedenken, daß die Provinz eine der fruchtbarsten der Welt ist,
Korn nicht allein in hinreichender Menge für ihre eigene Bevölkerung
hervorbringt, sondern auch zur Ausfuhr erübrigt, und nebenbei die
prachtvollsten Weidegründe besitzt. Bedenken wir nun, daß diese
Gewerbtä- tigkeit nicht, wie in Europa, in ungeheuren Fabriken
betrieben wird und den Menschen zur niedrigsten Stellung hinabdrückt,
sondern daß jede Familie dazu beiträgt, ohne ihr Privatleben
aufzuopfern, so dürfen wir wohl schließen, daß Kano eines der
glücklichsten Länder der Welt sein müßte. Und so ist es auch in
der Tat, so weit die Lässigkeit und Schlaffheit des Fürsten im
Stande ist, die Einwohner gegen die Gelüste der Nachbarn, die eben
durch den Reichtum des Landes immer wach gehalten werden, zu
verteidigen."
Die
Zeiten waren damals noch nicht fern, in denen nur indische Stoffe mit
der Qualität der afrikanischen Baumwollprodukte konkurrieren
konnten. Noch im 16. Jahrhundert importierten die Portugiesen größere
Mengen afrikanischer Stoffe nach Europa. Erst als die Engländer von
den Indern die Verfahren zur Herstellung hochwertiger
Baumwollerzeugnisse gelernt hatten, wurden ihre Produkte, weil
maschinengefertigt und daher billiger, auf dem afrikanischen
Binnenmarkt zu einem ernsthaften Konkurrenten.
Zum
damaligen Stand der afrikanischen Manufaktur merkt Davidson an:
"Weit
außerhalb des Netzes des atlantischen Sklavenhandels hatte Kano
offenbar sich soweit entwickelt, daß der Frühkapitalismus hätte
hervortreten können. Gleichzeitig wechselten andere afrikanische
Gesellschaften vom Sklavenhandel zum Verkauf von Palmöl, legten
eigene Plantagen an, handelten weitgehend auf Kredit, legten
umfangreiche Waren- und Goldreserven an und warben sogar Schiffe und
Besatzungen an. Es gab noch keine industrielle Erzeugung. Aber man
näherte sich der Kapitalansammlung, der notwendigen Voraussetzung
der Industrialisierung, was zur Zeit des Sklavenhandels völlig
unmöglich gewesen wäre."
Doch
in Kano wurden nicht allein gute und billige Baumwollenwaren
produziert. Barth nennt ferner Seidenproduktion, hübsche
Ledersandalen, die bis nach Tripolis exportiert wurden, alle Arten
Lederwaren, wie Taschen und Schuhe, sowie gegerbte und gefärbte
Schaffelle.
Von
Kano zieht Barth 600 Kilometer weiter nach Kukaua, der Hauptstadt des
Königreiches Bomu, heute eine Provinz im Nordosten Nigerias. Die
Schönheit der Landschaft, die großen Herden von Kühen und edlen
Pferden und die Sorgfalt, mit der die Felder bestellt sind, setzen
ihn immer wieder in Erstaunen. Weniger begeistert ihn seine
finanzielle Situation. Er ist völlig abgebrannt und lebt auf Pump
und von Geschenken. Er ist erschöpft und hat schwere Fieberanfälle.
Obendrein erhält er kurz vor den Toren von Kukaua, wo er mit
Richardson wieder zusammentreffen wollte, die Nachricht von dessen
Tod. Die Expedition droht zu scheitern. Alle Hoffnungen, aus der
finanziellen Misere herauszukommen, schwinden, als er erfährt, daß
das Gepäck von Richardson mitsamt den Mitteln der Expedition
inzwischen verschwunden und verramscht ist. Irgendwelche Vollmachten
besitzt Barth nicht. Dennoch wird er sowohl von Scheich Omar, einem
aufgeschlossenen Fürsten, und dessen Vezier Hadj Beschir freundlich
empfangen und glänzend bewirtet. Barth steht nun vor dem Problem,
angemessene Gastgeschenke aufzutreiben. Er muß, koste es, was es
wolle, das Gepäck Richardson's in die Hände bekommen.
Als
erstes läßt er keinen Zweifel aufkommen, daß er zum Nachfolger
Richardson's
bestimmt wird. Tatsächlich macht ihn die englische Regierung erst
viele Monate später dazu. Daraufhin erfährt Barth vom plötzlichen
Auftauchen der Kisten Richardson's. Aber aushändigen wolle man sie
ihm nicht, zumal die wertvollsten Gegenstände immer noch
verschwunden seien. Durch einen diplomatischen Kunstgriff gelingt es
Barth, das Verschwundene ans Licht zu bringen.
SKETCH
2
Barth:
"Hochverehrter Hadj Beschlr. Wiewohl Ihr mich so freundlich und
ehrenvoll behandelt habt und obgleich ich auch Überfluß von
Mundvorrat aller Art erhalten habe, kann ich nicht umhin zu erklären:
Wenn Ihr in Wahrheit so gewissenlos mit anderer Leute Eigentum
umgeht, so habe ich ferner hier nichts mehr zu suchen. El hamdu
lillahi. Gelobt sei Gott. Gehabt Euch wohl." (entfernt sich
eilig, Tür fällt ins Schloß)
Hadj
Beschlr: "Er reist ab. Mein lieber Lamino, was sollen wir tun?
(geht auf und ab) Scheich Omar wird mit uns unzufrieden sein, wenn er
davon erfährt. Los, gehe zu Abd el Kerim, und bringe ihn zurück,
nun los, eile dich. Er darf nicht abreisen. Sag ihm, es wird sich
alles finden."
Lamino:
"Mein Herr, ich eile, ich fliege."(Tür geht)
Hadj
Beschlr:" Ob der Lamino, dieser Spitzbube, doch etwas weiß?
Scheich Omar wird entschieden dagegen sein, daß er abreist. Schon
sein Vater Mohammed el Kanemi hatte die Engländer unter seinen
Schutz gestellt. Der Sohn wird ihm in nichts nachstehen wollen. Er
wird es mit den Engländern nicht verderben wollen."(Tür geht
auf. Lamino außer Atem): "Mein Herr, hier bringe ich Abd el
Kerim." Barth: „Hochwürdiger Vezier, Ihr wollt mich sprechen
?"
Hadj
Beschir: "Gewiß doch, Ihr dürft nicht reisen (zu Lamino).
Lamino, laß uns alleine. Warte draußen auf meine Befehle!“ (ab)
Barth:"
Haben die Sachen sich eingefunden?"
Hadj:
"Allah steh mir bei, sie sind nicht da ..."
Hadj
(unterbricht ihn): "Moment, mein edler Freund, übereilet bitte
nichts. Ich, Hadj Beschir, werde Euch zu Eurer vollen Zufriedenheit
entschädigen. Meine schönste Kamelstute und mein schnellstes Pferd
soll Euch gehören."
Barth:
"Verehrter Freund, zu viel der Ehre. Es geht nicht..."
Hadj:
"80 000 Kurdi hahe ich bezahlt...."
Barth:
"Ich weiß, ich weiß. Doch darum geht es nicht. So höret denn,
daß der verehrte Herr Richardson mich auf das Genaueste hat wissen
lassen, daß die besagten kostbaren Pistolen und Gewehre als Geschenk
für den Sultan Omar bestimmt waren. Da ich selbst nun gänzlich ohne
Mittel bin, bleibt mir nichts anderes übrig, als zu ihm zu gehen und
ihm mitzuteilen, daß die für ihn bestimmten Geschenke in seinem
Land in die Hände von Dieben gefallen sind."
Hadj
(stöhnend): "Allah sei mir gnädig.(Schreit) Lamino! Lamino!
(stürzt
herein) Hast du das gehört ?"
Lamino
(stammelt):" Ja. Das heißt nein ..."
Hadj:
"Du hast uns belauscht. Warte nur Bursche, wir sprechen uns noch
... Los, raus mit der Sprache. Wo sind die Sachen? Der Sultan haut
dich in Stücke."
Lamlno:
"Ich schwöre, ich hab sie nicht ...“ Hadj: "Das ist mir
egal, ob du oder ein anderer."
Lamino:
"Ich habe eine Idee, ich bin gleich wieder da.“(ab)
Hadj:
"Sei froh, noch nie war eine Idee von dir so viel wert.“
(stöhnt)
Barth
(lacht): "Es tut mir leid, den zarten Punkt so unsanft berührt
zu haben. Ihr glaubt, daß er ..."
Hadj:"
Seid versichert, daß sie in Kürze zur Stelle sein werden. Niemand
wird es wagen, die Geschenke des Sultan zurückzubehalten."
Barth:"
Dann sollten wir sogleich den Tag und die Stunde festlegen, an dem
ich die Geschenke dem Sultan offiziell überreichen werde."
Hadj:"
Ganz recht, verehrter Abd el Keri ..."
Lamino
(stürzt außer Atem herein): "Hier sind die Pistolen und …"
Hadj:
"Wußte ich es doch … Sind sie das ?"
Barth:
"Genau, das sind sie."
Hadj:
"Welch schöne Arbeit ... Hinaus mit dir, du nichtsnutziger
Teufel, das glaube ich, daß dir die Sachen gefallen hätten.“
(treibt den laut protestierenden Lamino zur Tür hinaus)
Barth's
mißliche Situation hat sich schlagartig geändert. Auch seine
Krankheit
bessert sich durch das Allmheilmittel Arbeit, wie er selbst es nennt.
Er verlieft sich in das Studium der Sprache, der Geschichte des einst
mächtigen Königreiches, kopiert alte Handschriften
und diskutiert bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit gelehrten
Männern. In Erwartung der Antwort aus London bereitet er weitere
Reisen vor. Er erforscht das Westufer des Tschad und stellt als
erster fest, daß dieser See - ähnlich dem wandernden Lop Nor in
Sinkiang - obwohl ohne Abfluß, gleichwohl ein seichter Süßwassersee
ist, der ständig seinen Wasserstand und seine Ausdehnung verändert.
1851 bricht er nach Adamaua auf. Dieses Königreich stellt heute die
Nordprovinz Kameruns dar, während seine ehemalige Hauptstadt Yola,
die Barth ebenfalls besucht, im heutigen Nigeria liegt. Auf dieser
Reise erforschte er vor allem das Flußsystem des Benuë, und
erbrachte den Nachweis, daß es mit dem Tschad in keinerlei
Verbindung steht. Kurz nach seiner Abreise drang der Schotte Baikie
auf dem Dampfer 'Plejade' bis fast zu dem von Barth besuchten Punkt
vor. Und Barth entdeckte auf seiner Reise die Heilkraft des Quinin
gegen die Malaria, die ihm so viel zu schaffen machte.
Kaum
nach Kukaua zurückgekehrt, bricht er bald darauf zum Nordosten des
Tschad auf, den Kernlanden des einst mächtigen Königreiches Kanem,
das aber mittlerweile zu einer Provinz des Sultanats Wada’l
herabgesunken ist. Auch hier studiert er die Landessprachen Kanembu
nnd Tibbu und sammelt Nachrichten über die Geschichte des Landes,
während er sich eigentlich in Gesellschaft des Scheichs Rhet auf einem
Kriegszgg befindet, vielmehr einem Diebs-und Plünderungszug.
Nach
2 Monaten wieder in Kukaua begleiteten Barth und Overweg den Sultan
Omar und sein großes Heer auf einer Sklavenjagd nach Mandara. Dazu
glaubte sich der Sultan berechtigt, weil jenes Königreich nicht
islamisch war und zudem nicht seine Oberhoheit anerkannte. Barth's
nächstes Forschnngsziel ist Baghirmi, "früher für ein dürres,
wüstes Hochland gehalten". Er entdeckt das Gegenteil, ein
fruchtbares Flachland. In der Hauptstadt Massena trifft er den
blinden Gelehrten Faki Ssambo, mit dem er sich tagelang in Gespräche
vertieft. Eine der ergreifendsten Szenen spielt sich mit ihm ab.
"Ich werde nie den Tag vergessen, wo ich einst meinen Freund besuchen
wollte, und den unglücklichen, alten blinden Mann in seinem Hofraum
vor der Tür der kleinen Rohrhütte, wo er gewöhnlich den Tag
zuzubringen pflegte, inmitten eines Haufens von Handschriften sitzend
fand, an denen er sich jetzt nur noch wie Polyphem an seinen Schafen
durch Betasten ihrer ledernen Umschläge erfreuen konnte.
Unwillkürlich ward ich an einen Ausspruch des um die Kenntnis des
nordwestlichen Teiles von Afrika hochverdienten, aber sonst
keineswegs seiner arabischen Kenntnisse halber preiswürdigen Jackson
erinnert, worin er sagt, daß die Zeit kommen möchte, wo die Texte
der Klassiker mit Hilfe von Handschriften aus dem Inneren des Sudan
verbessert werden würden."
Ende
August 1852 ist Barth wieder in Kukaua, nachdem er inzwischen von
Lord Palmerstone zum Leiter der Expedition ernannt worden war. Drei
Monate später ist er reisefertig - nach Timbuktu, 2600 Kilometer
entfernt. Auf dieser langen und beschwerlichen Reise durchquert er
das Königreich Sókoto, heute eine gleichnamige Provinz im
Nordwesten Nigeria's, kreuzt bei Ssay den Niger, unterhalb von
Niamey, der heutigen Hauptstadt der Republik Niger. Quer durch die
Sultanate Gando und Massina, auf der Sehne des Niger-Bogens, heute
der nördliche liche Teil Obervoltas, kommt er nach Timbuktu, das
jetzt zur Republik Mali gehört, wie schon vor tausend Jahren. Mit
längeren Aufenthalten, vor allem in der Hauptstadt Sókoto, braucht
er für diese Strecke 1 Jahr, deren Ergebnisse, Betrachtungen und
Forschungsergebnisse allein einen ganzen Band füllen.
Am
7. September 1853 vormittags nähert sich Barth der Stadt, der er
erst den richtigen Platz auf der Karte zuwies - Timbuktu. Aber, groß
ist die Enttäuschung.
"…
ihre dunklen, schmutzigen Tonmassen, die eben nicht von hellem
Sonnenschein beleuchtet wurden — denn der Himmel war dicht
überzogen und die Atmosphäre mit Sand erfüllt - waren kaum von dem
Sande und dem rund umher aufgehäuften Schutte zu unterscheiden."
|
Doch
kurz darauf wird er einigermaßen versöhnt:
"Aber
großen Eindruck machte der gut bevölkerte und wohlhabende Charakter
dieses Stadtviertels auf mich, des Ssane-Gungu; manche Häuser
erhoben sich zu einer Höhe von zwei Stockwerken und zeigten in ihrer
Fassade einen deutlichen Versuch von architektonischer Verzierung. "
Barths
abschließendes Urteil korrigiert falsche Auffassungen in Europa und
hat bis heute Gültigkeit:
"
Timbuktu hat keineswegs ganz mit Recht als der Mittelpunkt und die
Hauptstadt eines großen Negerreiches figuriert, indem es zu keiner
Zeit wenigstens in der älteren blühenden Periode des Landes, mehr
als eine
untergeordnete Rolle
gespielt hat; dieser
Charakter der Stadt tritt in den klarsten Zügen besonders in
demReise-
bericht
Ebn Batutas aus der Mitte des
14. Jahrhunderts
zu
Tage. Aber auf der anderen Seite verdiente Timbuktu, da es der Sitz
mohammedanischer
Gelehrsamkeit und des mohammedanisehen Monotheismus wurde, und wegen
der in ihrer Art schönen und massiven Gebäude, durch die es
ausgezeichnet war, vollkommen den Rang
einer 'Stadt' – medinah – im eigentlichen Sinne, einen Namen, den
die vollkommen
offene
und dem größten Teile nach aus Rohrhütten bestehende Hauptstadt
niemals verdiente, und so genoß denn diese Stadt selbst während der
blühenden Periode von Gógō
großes Ansehen; als die letztere in Folge ihrer Eroberung durch die
Rumā
am Ende des 16. Jahrhunderts in Unbedeutendheit versank, wurde
Timbuktu wegen seiner größeren Nähe zu Marokko der wichtigere
Platz, wo sich allmählich der ganze Rest des Handels in den
zerrissenen Nigerlanden festsetzte, während er sich von dem unteren
Fluß des Niger aus der Umgegend von Gógō
nach Agades zog, das von der Zeit an sich zu großer Blüte erhob.
So
hat denn der Ruhm Timbuktu's in Europa eine fabelhafte Größe, und
besonders in Folge der übertriebenen Beschreibungen und
unbegreiflichen Luftblasen des englischen Konsuls in Marokko, des
bekannten Jackson, machte man sich eine Vorstellung von der Bedeutung
der Stadt, hinter der die Wirklichkeit unendlich zurückblieb."
Das
Geheimnis Timbuktu ist durch den Augenschein enträtselt. Aber
verzwickt waren die politischen Verhältnisse in Timbuktu. Die Stadt
war ein Zankapfel zwischen dem Sultan von Massina, Achmedu ben
Achmedu, und den Tuareg, den Wüstenbewohnern nördlich der Stadt.
Zwischen beiden Parteien stand der Scheich El Bakay, den Barth zum
Freund gewann, dessen ganze Autorität aber fast ausschließlich auf
seiner großen Gelehrsamkeit beruhte, d.h. wirklich politische Macht
besaß er nicht.
Barth's
Anwesenheit entfacht den Streit von neuem. Es ist ein wahres
Glanzstück der Diplomatie, wie El Bakay und Barth es verstehen, aus
den häufigen Tumulten, die um Barth's Person entstehen, ungeschoren
hervorzugehen. Mal sind es bewaffnete Abgesandte von Scheich Achmedu,
mal bewaffnete Tuareg, die die Herausgabe des 'Christenhundes'
fordern. Zeitweise hält es El Bakay für klug, seinen Wohnort in ein
Wüstenlager
außerhalb der Stadt zu verlegen und Barth mitzunehmen, damit die
Gemüter
sich beruhigen können. Dort draußen vergessen sie die politischen
Tagesereignisse.
"Einen
Teil des Tages las der Scheich seinen Schülern aus einer alten
Chronik vor, während sein junger Sohn seine Lektion aus den Koran
laut wiederholte. Im Laufe des Abends wurden mehrere Abschnitte aus
dem heiligen Buche von den Schülern bis zu später Stunde der Nacht
gesungen. Nichts übte größeren Zauber über mich, als diese
schönen Verse von so klangreichen Stimmen in dieser offenen
Wüsten-landschaft, unter dem herrlichen, unbegrenzten Himmelsgewölbe
am Abendfeuer singen zu hören, während nichts den Schall störte,
der vom Abhange der gegenüber liegenden Dünen sanft widerhallte und
in des Hörers Seele drang."
Des
öfteren wird Heinrich Barth in kniffliche Diskussionen betreffs
seiner Religion oder der europäischen Politik verwickelt, die er,
wenn er sie nicht vermeiden kann, doch vermittels seiner witzigen
Schlagfertigkeit und seiner Gelehrtheit für sich entscheiden kann.
Eines Abends, Barth macht gerade am Feuer seine AufZeichnungen,
erhält er Besuch vom Scheich El Bakay, dessen prunkvolles Zelt ganz
in der Nähe steht.
SKETCH
3
Abbega
(Barths Diener. Feuer knistert, Feder kratzt auf Papier): "Abd
el Kerim. Unser Scheich und Herr, Ahmed El Bakay, wünscht Euch einen
Besuch zu machen."
Barth
(Schritte nahen): "Wo? Da kommt er schon! Abbega, lege noch ein
paar Holzscheite auf das Feuer und stelle Wasser hin für einen
Kaffee. Und bringe den Teppich und die Kissen. Salam, el hamdu
lillahi, Scheich Ahmed El Bakay, es ist mir eine Freude ..." El
Bakay: " Salam. Bisa'illah. Die Freude ist ganz meinerseits,
verehrter Abd el Kerim, ich habe Euch sträflich vernachlässigt in
letzter Zeit. Die Politik, die Politik, lieber Freund. Wie beneide
ich Euch, Euch einzig Euren Studien widmen zu können. Nun habe ich
schon den zweiten Boten mit einer dringenden Nachricht an das
mächtige Haupt der Auelímmiden, Alkúttabu, gesandt, und noch immer
zögert er mit einer bestimmten und für uns vorteilhaften Antwort.
Verehrter Abd el Kerim ..."
Barth
(lachend): „Ich weiß, ich weiß ... meine Heimreise wird einen
abermaligen Aufschub erleiden. Ihr wollt mich am Ende gar zu Eurem
Zeitvertreib hier behalten?"
El
Bakay: "Nichts wäre mir lieber, doch ... hört, wer kommt zu so
später Stunde …" (Pferdegetrappel, Stimmen im Hintergrund)
Barth:
"Ihr werdet gesucht ..."
El
Bakay (seufzend): "Ach ja, ich höre schon, es ist unser
hochmütiger Freund Abd e' Rahman aus A'ssauād.
Er wird zürnen, weil ich schon wieder bei diesem Nasrani sitze,
diesem Christen. Mein Freund, wetzt Eure Geisteswaffen und bereitet
Euch auf ein Streitgespräch vor ..."
Abd
e' Rahmān
(springt vom Pferd): "Hier, gebt ihnen Futter und zu trinken …
aber hurtig, sonst mach ich euch Beine. Salām,
Friede sei mit Euch, mein Scheich Ahmed El Bakay. Hier finde ich Euch
endlich, bei dem gelehrten Abd el Kerim, um dessentwillen Du Deine
Freunde vernachlässigst?"
Barth:"
Salām,
edler Abd e' Rahmān,
Ihr bringt unseren Freund in Bedrängnis. Zwar ist er ein heiliger
Mann, doch kann er nicht an mehreren Orten zugleich sein, er müßte
sich selbst denn oder seine Freunde halbieren. (Gelächter) Abbega,
eine Tasse für den edlen Abd e' Rahmān!"
Rahmān:"
Ihr habt eine scharfe Zunge, mein Freund, und der Prophet, geheiligt
sei sein Name, sagt schon: Hütet euch vor den Schwertern eurer
Feinde und mehr noch vor scharfen Zungen."
El
Bakay: "Ein wahres Wort …" (Tassen klappern, Schlürfen,
Feuer)
Rahman:
"Aaah (schlürfend) den Kaffee hat Gott in einer Mußestunde
geschaffen (schlürft) Abd el Kerim, Ihr seid ein weiser und
gelehrter Mann, drum verzeiht mir meine Neugier. Ich habe neulich
lange wachgelegen und Eure Worte bedacht und konnte nicht klug aus
ihnen werden. Ihr legtet den Plan Eurer Reise dar in aller
Ausführlichkeit und spracht von Eurer Wissenschaft, die Euch nicht
ruhen noch rasten lasse, derentwillen ihr sogar der Weiber entbehren
tut. Ich bin nicht klug daraus geworden. (Schlürfen) Eine
Wissenschaft, so sagte ich mir, die niemandem dient außer einem
selbst, wozu soll sie nütze sein? Wäret Ihr tabib, ein Arzt, dann
dientet Ihr den Menschen und brächtet ihnen Linderung ihrer
Schmerzen. Wäret Ihr ein Diener Gottes, Ihr würdet den Menschen den
Glauben bringen. Nun sagtet Ihr aber auch, Ihr dientet dem
mächtigsten König auf Erden, dem König der Engländer, und er habe
Euch geschickt. So verfiel ich denn auf den Gedanken, er habe Euch
geschickt, um die Berge und Flüsse zu zählen, die Dörfer und
Städte und ihre Bewohner und Soldaten. Und keinen anderen Grund gibt
es dafür, als unser Land zu erobern. Denn Euer König mag mächtig
sein, der mächtigste vielleicht auf Erden. Aber warum sollte er
nicht noch mächtiger werden und auch unser Land erobern wollen?"
Barth:
"Mein werter Freund (nimmt einen Schluck Kaffee) - Abbega, lege
Holz aufs Feuer - ja, so ist es recht - eine kluge Frage stellt Ihr
da. Die Antwort will wohl bedacht sein. Ihr habt Recht: Kein König
ist so mächtig, daß er nicht noch mächtiger werden könnte. Doch
sehet, in meinem Falle verhält es sich so. Ihr müßt wissen,daß
die Unwissenheit in Bezug auf Afrika, das Land und die Leute bei uns
sehr groß ist. Und so hat sich denn die seltsame Mär verbreitet, im
Lande des großen Scheich El Bakay würden die Menschen von Sand und
von Ton leben. Dies beweist zur Genüge, daß mein König gewiß
keine Eroberungsgelüste in Bezug auf Euer Land hegt, sondern reine
Neugierde ihn trieb, mich hierher zu schicken, um herauszufinden, wie
denn das möglich sei. Wenngleich ich selbst niemals diesem
Aberglauben anhing, so verlangt doch mein König Beweise.
Möglicherweise erhofft er sich ein Mittel, um die Armen in unserem
Lande gar billig zu versorgen." (Allgemeines Gelächter)
Alle:"
Bei Allah, Sand haben wir genug." - "Auch Ton." -
"Scheich El Bakay wäre sodann der mächtigste aller Könige."
El
Bakay: "Das will ich meinen. Sage aber, mein lieber Abd el
Kerim, ist es denn wirklich wahr, daß es im Lande der Christen auch
arme Menschen gibt ?"
So
souverän sich Barth auch aus der Affäre zieht, kann ihm doch nicht
sehr wohl in seiner Haut gewesen sein; denn schließlich war er viel
genauer als El Bakay über das Vordringen des weißen Mannes auf der
ganzen Welt informiert. Das Mißtrauen des Rahmān
war nur allzu berechtigt, wie die spätere Geschicht bis heute
zeigte.
Barth
wurde inzwischen in Europa totgesagt, weil man zwei Jahre lang keine
Briefe mehr von ihm erhalten hatte. Aber Barth lebt und endlich nach
acht Monaten gestatten es die politischen Verhältnisse El Bakay,
seinen Freund Barth auf seinem Rückweg durch die unsichersten
Gegenden zu begleiten. Diesmal reist Barth den Niger entlang, der von
Timbuktu aus noch hunderte Kilometer nordöstlich fließt, immer am
Rande der Wüste entlang, und sich erst bei Burrum südwärts wendet.
Als Barth nach einem Jahr schließlich wieder in Ssay ist, war damit
allen Spekulationen über den Niger als eines Zuflusses des Tschad
der Boden entzogen.
Auf
großenteils schon bekannten Pfaden, über Sókoto und Kano, zieht
Barth wieder nach Kúkaua am Tschad zurück. Unterwegs, mitten im
Wald, begegnete er Dr. Vogel, der von der englischen Regierung mit
einer Expedition auf die Suche nach Barth ausgesandt worden war. Von
ihm erfährt der erstaunte Barth Näheres über seinen Tod. Den
Gerüchten hatte inzwischen auch Dr. Vogel Glauben geschenkt,
weshalb er die Suche eingestellt und sich nur noch seinen Forschungen
gewidmet hatte.
Im
Mai 1855 bricht Barth von Kúkaua auf dem direkten Weg durch die
Wüste nach Tripolis auf, wo er vier Monate später anlangt. Dieser
Weg war zwar schwieriger, dafür aber sicherer. Im Juli ist er
erschöpft, aber wohlbehalten in Tripolis, am 1. September in London.
Barth wird begeistert empfangen, denn er hatte bis dato die größte
Reise gemacht, in Gegenden, aus denan 60 Europäer nie mehr
zurückgekehrt waren, zu denen kurz darauf auch Dr. Vogel gehören
sollte. Nun begann für Barth die mühsame Auswertung seiner
Forschungen und ihre Niederschrift auf englisch und deutsch. Dies war
schon drei Jahre später abgeschlossen. Sein Reisewerk liegt jetzt
unter dem Titel 'Die große Reise' wieder in einer äußerst stark
und wenig sorgfältigen von Schiffers herausgegebenen Fassung wieder
vor. Aber sie vermag einen Überblick zu verschaffen und Neugier zu
wecken.
In
den 10-15 Jahren nach Barths Forschungen, bis 1870 etwa, wurden auch
die letzten großen wissenschaftlichen Fragen der damaligen Zeit -
geographische Beschaffenheit des Innern Afrikas, Verlauf der großen
Flüsse und ihre Quellen, Lage der großen innerafrikanisehen Seen,
politische Strukturen - im wesentlichen gelöst.
David
Livingstone hatte, eifrig missionierend, die Kongoquellen und einige
der großen ostafrikanischen Seen gefunden. Burton und Speke stießen
auf den Viktoriasee und zogen weiter bis zu den Quellen des Nil.
Rohlfs bereiste als Moslem in großem Bogen den Süden Algeriens.
Später stieß er von Bengasi aus über 1000 Kilometer bis zur Oase
Kufra vor. Und drei Jahre nach Barths Tod brach Gustav Nachtigal
ebenfalls von Tripolis auf, um das Tibesti-Gebirge im Norden der
heutigen Republik Tschad zu erkunden. Er zog weiter nach dem
Königreich Wada'i im Osten des Tschad, das Barth wegen seiner
vorgeblichen Fremdenfeindlichkeit nicht betreten hatte, und bis zum
Nil.
Sie
alle können als Forscher bezeichnet werden, d.h. Leute, die mehr
oder weniger ein echtes Interesse an naturwissenschaftlichen,
ethnographischen, sprachlichen, geographischen Fragen hatten, auch
wenn ihr Verständnis für die Menschen Afrikas, deren Religion und
Kultur nicht immer das gewünschte Maß erreichte. Mehr oder weniger?
All diese großen Männer? Ja, genau. Hören wir den größten –
Livingstone:
"Bei
den Nassikjungen bemerkte ich es wieder: je dunkler die Haut, um so
sklavischer der Sinn.
Ich
fühle mich sehr glücklich, wieder ist
Innere
Afrikas zu reisen. Der Zweck meiner Reise, die Lage der Eingeborenen
zu verbessern, macht alle Strapazen erträglich. Ob wir die üblichen
Höflichkeitsphrasen austauschen oder gerade in einem neuen Dorf
ankommen, Nachtquartiere suchen oder Erkundigungan einziehen oder die
höflichen Fragen der Afrikaner nach dem Zweck unserer Reise
beantworten - alles dient dazu, Kenntnis von jenem Volk zu
verbreiten, das dereinst dieses Land der Kultur erschließen und von
der Schmach des Sklavenhandels befreien wird."
Einige
Zeilen weiter steht in seinem Buch, das ein Bestseller wurde:
"Die
Eingeborenen, zumal die Frauen, sind vollkommen kulturlos."
Das
bezieht sich auf die Makonde, die keine 100 Jahre später in
Mozambique den Aufstand begannen und zur Zerschlagung des
portugiesischen Kolonialismus und Faschismus beitrugen.
Auf
jeden Fall sind die Texte Livingstones derart, daß ich sie einem
Kind, zumindest bis zu einem bestimmten Alter, nicht in die Hand
geben würde.
Die
Erforschung Afrikas war also bis 1880 im großen und ganzen
abgeschlossen. Danach begann das, was schon von Zeitgenossen
verächtlich 'die Balgerei um Afrika' genannt wurde. Die
afrikanischen Völker gerieten aus dem Regen der Sklaverei in die
Traufe der totalen Unterwerfung. Und dies kannman
nur als 30-jähriges permanentes Massaker bezeichnen, dessen
ruhmreiche Pioniere Leute wie Stanley und Cecil Rhodes, Goldie und
Dr.Peters, Dr. Stuhlmann und der deutsche Arzt Emin Pascha, Frey,
Gallieni, Dr. Bayol u. v. a. waren. Zu ihnen gesellte sich in seinen
letzten Lebensjahren auch noch Herr Nachtigal, der noch kurz vor
Toresschluß, d. h. der Berliner Konferenz von 1884, Togo und Kamerun
ins Deutsche Kaiserreich holte. Ihnen diente die Forschung allenfalls
noch dazu, notdürftig die Blöße zu bedecken. Meist wurde aber
darauf verzichtet und man ging als nackter Imperialist zu Werke.
Damit
kam jede Afrikaforschung auf Jahrzehnte zum Stillstand. Forschung,
die diesen Namen verdiente. Es gab sogenannte, hochdotierte Forscher,
die die Kulturlosigkeit der Afrikaner bewiesen, die nachwiesen, daß
afrikanische Gehirne kleiner seien als europäische.
Man
mag heute über diesen Abschaum der Wissenschaft lachen, aber sie
waren es, die Leuten wie dem Grafen Gobineau die Argumente lieferten,
mit deren Hilfe er zum Ahnherrn des Faschismus wurde.
Zwei
Komponenten waren notwendig, damit Forschung wieder möglich wurde.
Zum einen das wachsende Bewußtsein der Afrikaner nach dem 1.
Weltkrieg und der Oktoberrevolution, das schließlich die Afrikaner
in den gewaltigen anti-imperialistischen Strom hineinzwang. Er spülte
in knapp 40 Jahren den gröbsten Unrat des Kolonialismus vom
afrikanischen Kontinent. Die Revolutionen von Algier bis Maputo und
Zimbabwe legten - trotz Hunger und Elend und Folter und Krieg und
Zerstörung - den Grundstein für eine Renaissance afrikanischer
Kultur und zur Entstehung afrikanischer Forschung. Auffallend viele
ihrer Vertreter sind sowohl Politiker, als auch Literaten.
Historiker, Künstler: Frantz Fanon, Sédar Senghor, Julius Nyerere,
Mohammed Said Abdullah, Keita Fodeba, Mamadou Dia, Onwuka Dike, Adu
Boahen und vor allen anderen Sheik Ananta Diop.
Die
zweite Komponente ist aufs engste mit der ersten verknüpft. Der
Kampf der afrikanischen Völker um ihre Unabhängigkeit fand in den
imperialistischen Ländern Solidarität, vereinzelt auch unter
Wissenschaftlern. Ihre Solidarität verlangte von ihnen, Afrika von
afrikanischen Voraussetzungen her zu verstehen und zu studieren.
Dadurch gewannen sie die Achtung der Afrikaner und es kam zu einer
fruchtbaren Zusammenarbeit. Pioniere waren hier die Franzosen Mauny
und Suret-Canale und vor allem der Engländer Basil Davidson, dessen
Werke zur Geschichte, Religionsphilosophie,
Gesellschaftswissenschaften aus der Afrikanistik nicht mehr
wegzudenken sind. Außerdem stammen einige blendende Reportagen über
den Unabhängigkeitskampf von Guinea-Bissao und Mozambique aus seiner
Feder, die heute großen dokumentarischen Wert besitzen.
Es
ist nur recht und billig, daß alle diese Forscher sich auf Barth
besinnen und ihn als einen der ihren betrachten. Ich möchte dem
Urteil von Davidson noch zwei afrikanische hinzufügen. Der
ghanaische Historiker Adu Boahen schreibt:
"Die
ausführliche Beschreibung und die wissenschaftliche Genauigkeit
seiner Beobachtungen sind ohnegleichen in den Annalen der Erforschung
Afrikas. Es ist in der Tat eines der Paradoxe der Geschichte der
Afrikafroschung, daß der größte der Forscher bisher von den
modernen Historikern am meisten vernachlässigt worden ist. Es ist
erfreulich zu sehen, daß heute britische und afrikanische
Wissenschaftler im Begriff sind, diese große Ungerechtigkeit
gegenüber Barth zu berichtigen."
Und
Onwuka Dike, Rektor der Universität Ibadan/Nigeria, sagte 1965
anläßlich des 100. Todestages von Barth:
„Barth
hatte eine beispiellos vielseitige intellektuelle Grundlage. Er war
Volkswirtschatler, Geograph, Historiker, Sprachforscher – alles in
einer Person.
Kein
anderer Afrikaforscher war mit solch reichem Intellekt und solcher
Findigkeit begabt wie Heinrich Barth; keiner verstand die Völker des
westlichen Sudan und ihre Umgebung in all ihrer Mannigfaltigkeit und
all ihrem Reichtum besser als er. Das ist der Grund, warum seine
veröffentlichten Tagebücher von so einzigartigem Wert für
Historiker, Archäologen, Ethnographen, Soziologen und Geographen
sind."
Ergänzen
sollte man: Linguisten, Mediziner, Botaniker und selbst in der
kürzlich erschienenen Studie von Susan Denyer über Architektur sind
Barths Zeichnungen und Grundrisse afrikanischer Häuser zu finden.
Ergänzen könnte man zahlreiche lobende Worte über Barth sowie
Bestätigungen seiner wissenschaftlichen Ergebnisse. Aber das würde
uns einer Antwort auf die Frage, warum er vergessen wurde - am
gründlichsten in Deutsdhland - keinen Deut näher bringen - im
Gegenteil.
Man
hat für das Vergessen die Länge seines Werkes verantwortlich
gemacht. Aber - Livingstone und Stanley haben mehr geschrieben und
wurden dennoch gelesen. Oder man sagte, es sei 'schwer lesbar und
trocken'. Wir konnten uns überzeugen, daß dies nicht stimmt, weder
damals noch heute.
Es
gibt Gründe, die ich für wahrscheinlicher halte. Erstens: Barth war
kein Imperialist, auch wenn er nicht ganz frei von eurozentristischen
Wertvorstellungen war. Aber seine weltoffene, humanistische
Grundeinstellung drang überall deutlich sichtbar durch.
Er
entrüstet sich über die schändliche Behandlung einer Delegation
des Scheich El Bakay durch die Engländer - Timbuktu war inzwischen
französisches Einflußgebiet geworden. Das mag man einer gewissen
Weltfremdheit und Naivität zaschreiben, und doch spricht es für
ihn. Er begeistert sich an der Schönheit der Haussa-Sprache, die an
"Wohlklang
dem italienischen kaum nachsteht". Er vergleicht einen
Musgu-Knaben mit einer griechischen Statue. Er ist hingerissen von
der Schönheit afrikanischer Frauen und fand, "das glänzende
Schwarz ihrer Haut zu weiblicher Schönheit fast wesentlich ist".
Es versteht sich eigentlich von selbst, daß derlei Äußerungen sein
Werk in der damaligen Zfcit nicht zu einem Bestseller machen konnten.
Eine Zeit, die ihren kapitalistischen Kinderschuhen zu entwachsen
begann und nach Imperien drängte. Es begann die Zeit der
skrupellosen Rhodes, Stanley, Peters. Ein Barth paßte da nicht
hinein.
Ein
zweiter Punkt ist sein Verhältnis zu den Akademikern, die ja ein
wichtiger Öffentlichkeitsfaktor sind. Schon auf der Schule hatte
er sie und ihr Erziehungssystem satt. An den Universitäten war ihm
das Cliquenwesen zeitlebens zuwider. Er sagte das auch noch laut. Das
verzieh man ihm nie. Er wurde als Idealist verschrien, für die
akademische Laufbahn fast so schädlich wie ein Vatermord. Sie warfen
ihm seinen Stolz vor. Gewiss – in der Weite Afrikas hatte er wohl
nicht gelernt, sich einen Lehrstuhl zu erschleimen. Er wollte seine
Fähigkeiten anerkannt wissen und bestand auf seinem Recht, weiter zu
forschen. Das war zu viel. Eine direkte Bedrohung all der Ignoranten,
die nicht viel mehr unter Beweis gestellt hatten, als daß sie
Sitzfleisch haben. Deshalb verleumdeten sie ihn.
Er
wäre England gegenüber 'undankbar' gewesen. Das ist der typische
Untertanengeist. Wer mußte wohl wem dankbar sein? Aber unter
Kollegen gilt das Urteil jener Leute heute noch.
Aber
Barth ließ sich weder durch Intriguen noch persönlichen Ärger
beirren. Er zog sich lediglich zurück, und gab letztlich sich selbst
die Schuld, wenn er schrieb:
"Wie
sehne ich mich nach einem Freien Nachtlager in der Wüste, wo, ohne
Ehrgeiz, ich mich im Hochgenuß der Freiheit nach Beendigung des
Tagesmarsches auf meine Matte m zu strecken pflegte; um mich meine
Habe, meine Kamele, mein Pferd. Fast bereue ich, daß ich mich selbst
in diese Ketten gelegt habe."
Barth
brachte zwei Bände mit Vokabularien und grammatikalischen Analysen
von 9 afrikanischen Sprachen heraus, und 1863, acht Jahre nach seiner
Rückkehr, wurde er zum außerordentlichen Professor nach Berlin
berufen. Er begann ein umfangreiches Werk über Afrika zu planen. Zur
Ausführung kam er nicht mehr. Im Alter von nur 44 Jahren starb er am
25. November 1865
nach schwerer Krankheit, nur wenige Monate nach dem Tode seines
Freundes El Bakay in Timbuktu.
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